: Ein Bügel wird Zeuge
Objekte sind ein Spiegelbild ihrer Besitzer. Von ihren Formen lassen sich drei Künstlerinnen anregen in Schloss Britz
Von Katrin Bettina Müller
Der Lieblingswandersocke hat ein Loch. Das wird gestopft. Der Stopfpilz ist neu erworben und sieht aus wie ein Fliegenpilz. Die Verkäuferin lobt den Erwerb: Egal wie stümperhaft repariert, gilt das jetzt als nachhaltig.
Nachhaltigkeit ist zu einer wichtigen Aufgabe geworden, um der Ressourcenverschleuderung zu begegnen. In früheren Jahrzehnten aber war der pflegliche Umgang mit Tischdecken und Porzellan nicht nur notwendig, weil die Dinge kostbar waren, sondern bedeutete auch Arbeit an der sozialen Verortung. Davon zeugt die Ausstellung über Wohnkultur der Gründerzeit im Herrenhaus Schloss Britz, in einem dörflichen Zipfel von Neukölln. Mit den Dingen und den Vorstellungen, Erinnerungen und Projektionen, die sich an karierte Tischdecken, ein blaues Tassenmuster oder altes Spielzeug haften, beschäftigen sich aber auch die drei Künstlerinnen Fides Becker, Anja Teske und Julia Ziegler in ihrer Ausstellung „Mobilien – was man mitnimmt, sind die Dinge“ in Schloss Britz.
Anja Teskes Fotografien von der Falte in einem Tischtuch oder Kronleuchtern an der Decke sind delikat, der Print samtig, die Modulationen in den Farben und Schatten wirken wie gemalt. Sie rückt damit zwei Gläser auf einem Tisch in eine Distanz, als ob man durch einen langen Zeittunnel darauf blicken könnte. Für die Bildserie „Erwachsen werden“ hat sie Spielzeuge in Zeitungspapier verpackt, mit Lichttupfern und Schatten fotografiert. Man denkt an den Wegzug aus dem Elternhaus, an Abschiednehmen von Begleitern der Kindheit. In der Nachkriegszeit war in Schloss Britz ein Kinderheim untergebracht, auch dazu lässt sich ein Bezug denken.
1924 wurde das Gut Britz an die Stadt Berlin verkauft, das Herrenhaus in vier Wohnungen aufgeteilt. Der Bezug auf diesen Zeitraum spielt in der Ausstellung vage mit. Zu den wenigen Dokumenten aus der Zeit gehört die Fotografie einer Frau, die in ihrem Salon auf dem Sofa sitzt. Julia Ziegler hat das Motiv mehrfach aufgegriffen. Einmal in Zeichnungen der Sitzenden, überwölbt von einem konvexen Glas, mit dem das sich Entziehende der Vergangenheit, ihr Schwinden betont wird. Ein anderes Mal sitzt die Figur gemalt als Cutout in einer Zimmerecke, vor sich einen Glücksklee. Aus Papier geschnitten flattern dessen Blätter über die Wände, wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm, ein Moment der Beunruhigung und Bedrohung.
Julia Ziegler arbeitet gerne mit vorgefundenen Mustern, etwa dem Design von Geschirr. Das blaue Muster eines Wandtellers löst sie vom Teller, vergrößert die Elemente und lässt sie über eine Wand im Kreis tanzen. Sie sammelt Kuchenplatten auf Flohmärkten, deren Design Impulse der Bauhausmoderne aufgegriffen hat. Einige davon sind jetzt auf den Tisch im Jagdzimmer des Schlosses geschmuggelt, das von einem Wandbild mit monumentalen Wildschweinen beherrscht wird.
Die Ausstellung „Mobilien“ findet eben sowohl in den Räumen der Gründerzeit als auch in denen für die aktuellen Ausstellungen statt. Es gehört zum Konzept der Kurator:innen Rebekka Liebmann und Martin Steffens, Künstler:innen der Gegenwart dazu einzuladen, einen Bezug zur Geschichte des Ortes herzustellen. Das war aber nur ein Anker für die drei Künstlerinnen, die eine je eigene Auseinandersetzung mit dem Gegenständlichen betreiben. Für die Malerin Fides Becker mögen konkrete Momente der Ausgangspunkt sein, bevor eine Lampe oder ein Kleiderbügel zum Sujet werden. Die Malweise aber, mit verwischten und zerfließenden Zonen, lädt das Marginale theatralisch auf, macht den Bügel oder die Lampe zum Zeugen einer emotionalen Geschichte, die wir nicht kennen. Wohl aber den Moment, in dem Objekte des Alltags die Erinnerung triggern und den inneren Film anwerfen.
„Mobilien – was man mitnimmt, sind die Dinge“, Schloss Britz, bis 28. September
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