Ein Brief, eine Frau, aber drei Männer

■ Zur Aufführung von Tankred Dorsts neuem Stück in Wien

Es geht um die Liebe, aber was ist schon die Liebe.

Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben — mit diesem Satz, der auch zugleich der Titel ist, beginnt das neueste Stück von Tankred Dorst. Julia nimmt den Brief — einen Heiratsantrag — von Fernando Krapp an, weil sich ihr Vater in Geldnöten befindet. Eine reduzierte Dreiecksgeschichte entwickelt sich: der pragmatische Ehemann, das gekaufte Fräulein, ein romantischer Graf. Wer die Bilderfluten früherer Stücke von Dorst in Erinnerung hat, etwa den Merlin (1981), den mutet Fernando Krapp um so karger an. Strenge und Unklarheit — ein seltenes Paar — durchziehen das Stück.

Es ist eine einfache Geschichte, aber das Einfache trügt. Die Figuren sind unstimmig, nicht festzumachen, sie lügen, sie spielen. Tankred Dorst interessieren die Dialoge, nicht die Handlungsfortgänge. Die Stellen, an denen sich Leben vollzieht, an denen die Dinge tatsächlich passieren, werden gleichsam ins Off gesprochen. Die Figuren bewegen sich in fertigen, unverrückbaren Situationen: Julia hat Fernando geheiratet, einen Sohn bekommen, einen Grafen zum Verehrer erkoren, im Irrenhaus zur Vernunft gefunden, Fernando als ihre wahre Liebe erkannt. Alles könnte auch anders sein.

Kein Motive erklären das Geschehen, keine Farben bestimmen die Bilder. Die Bühne ist schwarzweiß wie die Kostüme und wie das Leben eben nicht. Daher sind die Wände der Räume nur Versatzstücke, die sich auf vielerlei Arten ineinander verschieben. Fernando Krapp tritt zuerst im weißschwarzen und dann im schwarzweißen Nadelstreif auf. Das Schwarzweiß, das Bühne und Kostüme so schön macht, gerät den Figuren zum Korsett. Ihnen hätte man mehr verschwommene Grautöne gewünscht.

Denn in diesem Text ist alles beständig in der Schwebe — will Fernando seine Frau lieben oder töten, hat der Graf nun ein Verhältnis mit Julia oder nicht, liebt sie den Grafen oder den Ehemann, ist sie wahnsinnig oder vernünftig, sind alle gleichgültig oder besessen. „Ein Versuch über die Wahrheit“, heißt das Stück im Untertitel, und die Wahrheit gibt es nicht. Am ehesten bestimmt Fernando, was wahr ist, denn bei ihm liegt die Macht (das Geld). Bei ihm ist die Spaltung auch am traditionellsten ausgefallen — das altbekannte Muster: Er besitzt die kühle, anmutige Ehefrau und sehnt sich nach dem naturnahen Weib — „ein einfaches, sinnliches Tier, schmutzig meinetwegen...“ Die Liebe ist immer anderswo. Schon gar nicht in der Ehe. Oder doch? Am Ende, in der Nähe des Todes, zeigt sich seine Sehnsucht — nach Julia.

Die Inszenierung von Wilfried Minks am Wiener Akademietheater kann die Schwebe nicht ganz aufrechterhalten. Er wird der schönen Kargheit der Geschichte gerecht, nicht ganz ihrer permanenten Vieldeutigkeit, die zu chronologischer Verwirrung führt: Was in einem Moment wie Wahrheit erscheint, erweist sich im nächsten als Lüge und umgekehrt. So hat noch Luigi Pirandello mit dem Schein gespielt. Das Stück von Tankred Dorst würde nun nach strikterer Gleichzeitigkeit verlangen. Die guten Schauspielerleistungen könnten die Voraussetzung für eine gewagtere und abstraktere Figurenführung bieten.

Markus Boysen ist ein selbstverliebter Fernando Krapp, an den Jalousien prangen seine fotorealistischen Porträts, sein Gang wirkt lässig, seine Gestig beherrschend. Schmierig und brutal geht er seinen Interessen nach und ist dadurch die eindeutigste der Figuren. Der Graf (Johann Adam Oest) benimmt sich ungeschickt und schwärmerisch. Er wirbt auf Knien, läßt sich erniedrigen und befehligen, wirkt erbärmlich liebenswert.

Die schwerigste Rolle fiel Andrea Clausen zu. Denn Julia ist alles und nichts, auflehnend, gehorsan, fordernd, ergeben, berechnend, leidenschaftlich. Ein mit allen Eigenschaften oder mit keiner zu erfüllender Frauentypus, eine variable Männerprojektion, und doch liegt es an ihr, die Spannung zu halten. Andrea Clausen spielt dieses seelenlose Geschöpf, diese mit 1.000 Seelen ausgestattete Julia, wundervoll, nur in den wenigen Momenten, in denen sie Gefühle mimt, greift sie daneben, denn Gefühle gibt es nicht in diesem Stück über die Liebe. Margit Knapp Cazzola

Tankred Dorst: Fernando Krapp hat mir diesen Brief gechrieben. Inszenierung und Bühne: Wilfried Minks, Kostüme: Dorothea Katzer. Mit Andrea Clausen, Markus Boysen, Johann Adam Oest, Wolfgang Gasser. Wiener Akademietheater. Nächste Aufführungen: 21., 25. und 27.Mai.