Ein Besuch bei den Obdachlosen vom Hauptbahnhof: Der nette Abschaum
Die Obdachlosen sollen weg vom Hauptbahnhof, sie seien ein Ärgernis für Passanten. Ein Besuch am Samstagabend - zwischen Theater, Wodka-Sprite und Kotze.
Wenn es nach dem Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD), ginge, sollte Kai Kerfa hier weg. Er lehnt hockend am blauen U-Bahn-Gitter, U2-Eingang, Hauptbahnhof Nord, neben sich eine Plastikkiste mit Müll und Pfandgut. Es ist Samstag, kurz vor 23 Uhr, und Kerfa hat sich gerade eine Wodka-Sprite-Mische gemixt. Er ist 22 Jahre alt, vor einer Woche hat er den Entzug abgebrochen. Jetzt sitzt er wie immer hier, mit vier anderen Obdachlosen und zwei Hunden. Kerfa sagt: "Ich scheiße auf das Verbot, ich gehöre zu denen, die sich wehren werden."
Noch ist es nicht so weit. Schreiber hatte ursprünglich geplant, dass die Deutsche Bahn ab Oktober auch das Hausrecht auf Bahnhofs-Außenflächen erhält. Ordnungskräfte dürften dann, anders als an öffentlichen Orten, Platzverweise erteilen und durchsetzen. Doch nach den Streitereien um den bereits abgesägten Zaun, den der Bezirk unter der Kersten-Miles-Brücke gebaut hatte, um die Obdachlosen zu vertreiben, bekam die Bahn kalte Füße. Die sogenannte Sondernutzung wird erst am 1. November übertragen - als dreimonatiger Test. Zur Zeit sitzt die Bahn mit Behörden, Polizei, Ordnungsdienst und der Hochbahn am runden Tisch. Ziel ist es, einen Trinkerraum zu finden.
Kerfa will in keinen Trinkerraum, und in keine Unterkunft. Wie genau er sich wehren will, falls er vertrieben werden sollte, weiß er noch nicht. Auch wenn er oft nicht zum Schlafen kommt, macht er - wie so viele - Platte aus Überzeugung. Dann sitzt er bei "McDoof" im Obergeschoss, nippt stundenlang an einem Cappuccino, wenn die Augen doch zufallen, legt er seinen Kopf auf die Tischplatte und wird Minuten später von der Security geweckt. Manchmal schläft er bei seiner Freundin, die noch bei ihren Eltern wohnt.
An diesem Samstagabend ist es voll am Hauptbahnhof - und die Obdachlosen sind in der Minderheit. Solariumgebräunte Jungs rülpsen ihr Bier hoch, ein paar Mädels stakeln in Pumps vorbei, eine von ihnen hüpft über eine Kotzlache. Die Herbstkälte zieht auf, sieben Grad misst das Thermometer, und das Theaterpublikum trägt schon Pelz. Die Türen des neu eingeweihten Ohnsorg-Theaters öffnen sich, die Gäste strömen nach draußen, in den Reisebus, in ein Restaurant um die Ecke. Manche, wie Erwin Bachmann, wollen mit der S-Bahn nach Hause.
Bachmann ist 79 Jahre alt, seinen richtigen Namen will er nicht nennen. "Kennen Sie das auch, dass Sie manchmal nicht wissen, wie Sie sich den Obdachlosen gegenüber verhalten sollen, wenn Sie vorbeilaufen? Manchmal gebe ich etwas, manchmal nicht, so ist das nun mal."
Fühlt er sich denn als Passant gestört oder gar bedroht? "Nein, überhaupt nicht, nur bei Betrunkenen, aber da nerven ja auch die, die ein Dach über dem Kopf haben. Ich finde, Obdachlose kann man nicht einfach irgendwo einkerkern, sie gehören zum Bild einer Großstadt dazu." Sie vom Vorplatz am Hauptbahnhof zu vertreiben, hält Bachmann für keine Lösung.
"Wir sind kein Abschaum", sagt Kerfa, "wenn, dann netter Abschaum, meinen Müll räum ich immer selber weg." Es geht auf Mitternacht zu, Kerfa und die anderen sind mittlerweile betrunken, bis auf die bellenden Hunde bleibt es aber ruhig. Kerfa lacht jetzt öfter, dann sieht man, dass ihm der linke Schneidezahn fehlt, den habe ihm jemand im Sommer rausgeschlagen, sagt er.
Seine Ausbildung zum Gärtner in Paderborn hat er abgebrochen, er ist auf Hartz IV, "auf eine Wohnung habe ich aber keine Chance, wenn ich bei Besichtigungen keine alte Adresse angeben kann." Diese Woche hat er für 100 Euro seinen Laptop verkauft, und immer mal ein Handy, nur die Goldkette seiner Freundin ist tabu. Er wankt etwas, dann nimmt er einen Schluck aus seinem Plastikbecher.
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