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Ein Alptraum für Firmengründer

In Polen lassen das Handelsregister-Chaos und die Bürokratie das Kapitalistendasein zur Mühsal werden  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Polens Handelsregister sind voller Geheimnisse. Um sie kennenzulernen, muß man allerdings einige Mühsal auf sich nehmen. Das beginnt mit dem Warten in einer Schlange und endet häufig mit der Erkenntnis, umsonst angestanden zu haben. Wer in Polen eine neue Firma in Form einer GmbH, der dort beliebtesten Rechtsform, gründen will, muß dafür zehn Millionen Zloty (rund 1.500 Mark) hinblättern. Noch vor zwei Jahren konnte eine Gesellschaft sogar mit sehr beschränkter Haftung ins Leben gerufen werden: ganze 500 Zloty (zehn Pfennige) waren erforderlich. Der Gesetzgeber entdeckte die Lücke, die sich durch die hohe Inflationsrate weit aufgerissen hatte, erst vor kurzem. Die Untergrenze wurde angehoben — allerdings nur bei Neugründungen. Wer dagegen eine alte Firma aufkauft, kommt unter Umständen noch billiger weg. So kann man heute noch Firmen begegnen, die lediglich ein Grundkapital von 100.000 Zloty (rund 20 Mark) aufweisen. Clevere Rechtsanwälte gründeten deshalb Gesellschaften gleich auf Vorrat und verkauften sie anschließend zu hohen Preisen. So kommt jeder auf seine Rechnung, der Staat ausgenommen. Der kassiert bei der Gründung eine Stempelgebühr, prozentual vom Stammkapital. Doch davor drücken sich die Unternehmen, indem sie die Einlagen so niedrig wie möglich halten. So ist auch zu verstehen, warum Joint-ventures bisher nur ungern mehr als die vorgeschriebene Mindestsumme von 50.000 US- Dollar investieren, denn schon von dieser Summe sind Gebühren von 7.500 Dollar fällig.

Wirtschaftsanwälte sind in Polen glückliche Menschen — sie brauchen sich nicht in die Schlange vor den Handelsregister-Büros einzureihen, wo einfache BürgerInnen in Warschau schon mal zwei bis drei Stunden auf Einlaß warten müssen. Das Registergericht besteht nämlich nur aus zwei winzigen Kammern in einem Seitenflügel des Finanzministeriums. Dort tummeln sich vier bis sechs Schreibkräfte, die damit beschäftigt sind, Akten zu ordnen und Formulare auszufüllen, neu zu schreiben oder auszugeben. Sie kommen der Antragsflut kaum nach. Wer eine Firma gründen will, muß auf den Eintrag rund drei Monate warten. Die Bearbeitungszeit dauert ewig — nicht ohne Grund: Einen Kopierer gibt es nicht. Wer einen Handelsregisterauszug möchte, muß ihn beantragen. Dann wird eine Abschrift angefertigt, Stempelmarken geklebt, und das Ganze wandert in die „Maschinenhalle“. So werden in Polen jene Schreibsäle bezeichnet, in denen Schreibkräfte auf klapperigen Schreibmaschinen die Texte abtippen. Zum Abholen müssen sich die Antragsteller wieder in die Schlange einreihen; verständigt wird man aber nicht, wann es etwas abzuholen gibt. Da der Gründungsboom in der Provinz etwas moderater verläuft, gehen manche Geschäftsleute inzwischen dazu über, ihre Firma dort eintragen zu lassen und den Hauptsitz später nach Warschau zu verlegen.

Daß das Kapitalistendasein in Polen kein leichtes ist, können die Geschäftsleute jedesmal feststellen, wenn sie ihr Grundkapital einzahlen möchten. Laut Handelsgesetz muß dies vor der Eintragung geschehen. Doch vor der Eintragung gibt es keinen Auszug, ohne Auszug kein Bankkonto, ohne Bankkonto nichts einzuzahlen. Also erklären die meisten Firmen das Kapital kurzerhand für eingezahlt, um sich registrieren zu lassen. Aber wehe, das Finanzamt kommt dahinter. Ein Joint-venture aus Lodz hatte nach einem derartigen Vergehen, auf das zwei Jahre Haft stehen, die Staatsanwaltschaft, das Handelsgericht und mehrere Ministerien am Hals. Da das GmbH- Gründen so mühsam ist, erfreuen sich Offene Handelsgesellschaften immer größerer Beliebtheit. Die aber müssen gleich zweimal registriert werden: beim Handelsgericht und im Rathaus.

Das Registerchaos ist auch der Hauptgrund dafür, daß Polen auf den Landkarten der Wirtschaftsauskunfteien noch ein weißer Fleck ist. Drei große Auskunfteien haben zwar bereits Wurzeln geschlagen — eine betreibt die Polnische Landeswirtschaftskammer, eine andere die US- Firma Dunn & Bradstreet, eine dritte wird derzeit von der deutschen Creditreform, der Handlowy-Bank und der privaten Prosper-Bank aufgebaut. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie verkaufen vor allem Informationen an polnische Betriebe über ausländische Firmen. Creditreform hat bisher gerade 1.200 Auskünfte über polnische Betriebe erteilt. Ein Manager klagt sein Leid: „Einige Aufträge mußten wir zurückgeben, weil wir selbst nach einem halben Jahr den entsprechenden Betrieb nicht gefunden hatten.“ Die Gerichte nehmen es zwar mit dem Grundkapital sehr ernst, nicht aber mit dem Firmensitz. Es genügt, die Stadt einzutragen, eine Adresse ist nicht erforderlich. So gibt es in Polen Tausende von Firmen, die praktisch keine Adresse haben. Selbst den Besitzer zu kennen, hilft oft nichts. Da das Melderecht zu unangenehmen Konsequenzen bei Wohn- und Mietrechten oder Steuerpflichten führen kann, wohnt kaum jemand da, wo er gemeldet ist und umgekehrt. Alle, von den Auskunfteien über die Wirtschaftsrichter bis zu den Investoren, hoffen deshalb auf die geplante Computerisierung. Und auch hier steckt der Teufel im Detail: Manche Register haben schon Computer — aber noch keine Programme.

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