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Archiv-Artikel

Ehrliche „Heirat“

Körperbetont, unterhaltsam, energiegeladen: „Silberne Hochzeit“ hatte im Brauhauskeller Premiere

Die Situation eskaliert: Schwiegersohn und Vater duellieren sich

Groß im Kommen, top modern: Die Liebesheirat. Die Liebesheirat ohne offiziellen Trauschein, dafür mit individueller Zeremonie. Ganz vorne in der Ange-botspalette möglicher Szenarien: Die Liebesheirat in der Gummizelle im Kampfanzug-Design, besiegelt durch Blutsbrüderschaft. Oliver Stone hat‘s in „Natural Born Killers“ vorgemacht, das Bremer Theater macht‘s in „Silberne Hochzeit“ nach. Der Theaterabend beginnt mit einem Filmzitat. Nichts ist ehrlicher, als eine Heirat in Gänsefüßchen.

Zumal anderntags die Eltern Silberne Hochzeit feiern und deswegen zum Kaffee kommen. „Wir müssen fit sein“, sagt die Tochter (Katja Zinsmeister). Und ihr Gatte (Henrik Zimmermann) sagt: „Wir machen Kaffee.“ Es ist halb zwei Uhr nachts und die beiden können nicht schlafen. Also erzählen sie sich Albträume, suchen nach einem Ohrring, jammern, fabulieren, reden, reden sich in Rage und konstant aneinander vorbei. Jeder gefangen in der eigenen sprunghaften Gedankenwelt, die gelungenste Kommunikation zwischen beiden ist noch eine kleine Prügelei.

Die Tochter und ihr Gatte sind um die 30, sie sind keine Charaktere, sondern Patch-Work-Wesen aus unterschiedlichsten Posen, Floskeln, Haltungen und Masken. Spontane Offenbarung trifft auf distanzierte Selbstbeobachtung, Sätze sind Masken zum An- und Ausprobieren. Überdreht sind beide, aber ihre Gefühlsausbrüche sind nicht dazu da, etwas zu erklären. Zwei Dreißigjährige, die beim Spiel mit Identitäten die Anleitung verloren haben und heißlaufen. Da hilft auch die Ehe nichts.

Lockerer wird das Ganze, als die Eltern kommen: Muttern (Heike Ronniger) ist eine Höllenfürstin mit Heidi-Zöpfen, Vatern (Andreas Herrmann) hängt mit seinem schickem 60er-Jahre-Popstaranzug noch arg an seiner Jugend. Auch die Alten sind nur aus Phrasen zusammengesetzt, sagen „hast du die Krankenkasse jetzt gewechselt“ oder „euch fehlt der Ehrgeiz“. Phrasen mit Wiedererkennungswert, die die Jungen mit Aggression beantworten: Die Situation eskaliert, Schwiegersohn und Vater duellieren sich, Vater würgt Mutter, Mutter attackiert Tochter. Der Abend wird zur Groteske.

Der junge schweizer Autor Lukas Holliger darf sich über diese deutsche Erstaufführung seines Stücks „Silberne Hochzeit“ freuen: Regisseurin Elina Finkel und Dramaturg Helge-Björn Meyer machen aus dem Text körperbetontes, energiegeladenes Emotionstheater. Eine überdrehte, liebevolle Zustandsbeschreibung zeitgemäßer Befindlichkeit – unterhaltsam, ohne in der Unterhaltsamkeit stecken zu bleiben.

Denn: Die Zuschauer können sich nicht zurücklehnen an diesem Abend, sie spielen auch selber ihre Rolle. Ausstatterin Gitti Scherer hat einen länglichen Bühneraum gebaut, der nach beiden Seiten hin offen ist. An beiden Enden sitzt das Publikum und schaut sich gegenseitig beim Zuschauen zu. Auch nur eine von vielen möglichen Rollen – an diesem Abend aber eine, die es sich loht, einzunehmen.

Klaus Irler

nächste Vorstellungen: 19. und 22.2.