: „Ehrenmorde“
betr.: „Eine Lust am Schaudern“, Interview mit Werner Schiffauer, taz vom 17. 10. 05
Eine differenzierte Sichtweise auf eine sehr wichtige und sensible Thematik in der heutigen Migrationsgesellschaft. Daher großes Lob und Anerkennung an Herrn Schiffauer für eine überaus überzeugende und leider zu selten objektiv geführte Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Tragweite von „Ehrenmorden“. Diese Objektivität würde gerade den Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund, die sich zu dieser Thematik lautstark äußern, bestimmt gut tun. ASIYE BALIKCI, Köln
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Schiffauer zum Ersten: „Der Begriff ‚Ehrenmord‘ etikettiert diese Fälle als etwas, was in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht passieren kann. Im Fall von Hatun Sürücü hieß es immer wieder: Sie wollte leben wie eine Deutsche. Damit hat man ein soziales Drama ethnisiert und „den anderen“ zugeschoben. Und wenn dann die Richter sagen, so einfach ist der Fall nicht, dann werden Kronzeuginnen wie Necla Kelek zitiert, die sagen, die Justiz müsse konsequent Stellung beziehen.“
Schiffauer zum Zweiten: „Trotzdem muss man vermeiden, dass die Frauen, die Hilfe suchen, wirken, als hätten sie die Seiten gewechselt. Dann gelten sie als untürkisch, unislamisch, wie Deutsche. Das erhöht nur die Hürden. Deshalb hoffe ich viel mehr auf muslimische Initiativen und muslimische Frauen.“
Ja, aber was, wenn die Frau wirklich „die Seiten gewechselt“ hat bzw. das tun will oder gar, horribile dictu, „wie eine Deutsche“ leben will? Ist das dann auch aus Herrn Schiffauers Sicht nicht mehr legitim? ROBERT GROENEWOLD, Maastricht, Niederlande
Herr Schiffauer, ein deutsches Phänomen.Vor 200 Jahren wäre aus ihm ein guter Kolonialherr geworden, der die Kultur der Anderen besser kennt als diese selbst. Herr Schiffhauer und seine „fachkundigen“ Reaktionen auf Geschehnisse in der türkischen Kultur sind ein typischer Restbestand der 70er-Jahre, in denen Migranten bevormundet wurden. Alle Ausländer, die ihre Kultur kritisieren, versuchen zu reformieren, werden zu Nestbeschmutzern erklärt.
Da Schiffauer das „Weiße-Herren-Gutdünken“ hat, ist es für ihn natürlich, dass er meint, dass der Fall Sürücü kein Ehrenmord ist. Warum? Weil es nicht so in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft steht. Denn das ist die einzige Autoritätskategorie, die er respektiert. Die Meinung der türkischen Minderheit oder von Frauen wie Necla Kelek kann nicht stimmen, denn diese sind weder Staatsanwälte, noch heißen sie Schiffauer. Vielleicht präsentiert die türkische Gesellschaft das, was Herr Schiffauer in seinem „deutschen“ Männerleben nicht befrieden konnte. Verteidigt er deshalb immer wieder türkische Männer, die Verbrechen gegen Frauen begehen?
Es ist kein Zufall, dass Schiffauer N. Kelek diffamiert: „Das Problem ist, dass sie das undifferenziert tut und damit von der Mehrheitsgesellschaft als Kronzeugin benutzt wird – gegen die Migranten insgesamt: Wenn eine Migrantin das sagt, dann können sich die Deutschen mit ihren Ressentiments dahinter verstecken.“ Sie diffamieren damit auch „die Deutschen“. Setzen Sie sich doch bitte mit ihrer eigenen Identität auseinander, statt uns eine anzudichten.
ARZU TOKER, Köln
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