: Ehrbare Hanseaten
Boris Meyns historischer Krimi „Der eiserne Wal“ zupft ganz dezent am hamburgischen Patriotismus
Ob das U-boot „Eisener Wal“ um 1862 wirklich existierte, wird die Welt wohl nie erfahren. Sicher ist aber, dass Mitte des 19. Jahrhunderts Hamburger Reeder immense Geschäfte mit der Übersee-Verschiffung osteuropäischer Auswanderer machten, und dass – und dies ist Hauptskandal von Boris Meyns historischem Krimi Der eiserne Wal – kranke Auswandererkinder zurück nach Europa und dort zur Zwangsarbeit in englische Bergwerke verfrachtet wurden.
Doch in plump anprangerndes Marktschreiertum driftet Kunsthistoriker Meyn, Autor von Der Tote im Fleet (2000), nicht ab: Gegründet auf erkennbar solide Recherche, präsentiert er Befindlichkeiten damaliger Senatorenkreise, die über den Hafenausbau feilschten, immer wieder Partikularinteressen über das Gemeinwohl stellten und letztlich alle korrupt waren.
All dies erkennt zu seinem Entsetzen Commissarius Bischop, der den Mord an einem Unbekannten am Hafen aufklären soll. Und ohne dass der Autor allzu aufdringlich auf strukturelle Aktualität verwiese, beginnt der Roman ganz süffisant die Funktion der in totalitären Regimes so beliebten, schwer zu zensierenden historischen Romane zu erfüllen. Dabei hat Meyn, auch hier der Tradition verpflichtet, eine spannende Story um das Beziehungsgeflecht gewoben, und den Mythos vom allzeit ehrbaren Hanseaten in Richtung eines oft kalten Pragmatismus verschoben.
Überflüssig ist allerdings die – pflichtschuldigst? – eingeschobene „moderne Ehe“ des Kommissars, die darin gipfelt, dass die Gattin, als sie sich mit dem pubertierenden Sohn zu langweilen beginnt, tatsächlich berufstätig sein darf. Petra Schellen
Boris Meyn: Der eisene Wal. Hamburg 2002, 255 S., 7,90 Euro