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»Een Schlafsack und 'n janzen Anzug!«

■ Reisestrandgüter unterm Reichsbahnhammer: Viermal im Jahr werden Fundsachen im Bahnhof Zoo versteigert/ Schnäppchen für Stammkunden aus »zwangsentleerten« Schließfächern/ Die neue Völkerwanderung hinterläßt Spuren

Charlottenburg. In teuren Schalenkoffern verbergen sich Berge von billigster Bettwäsche, in Pappkoffern Reizwäsche aus Spitze und Satin: groteske Diskrepanzen und merkwürdige Gewohnheiten, die im wahrsten Sinne des Wortes freigelegt und vom Publikum begeistert kommentiert werden. Im Bahnhof Zoo wird versteigert. Auktionär ist die Deutsche Reichsbahn, Mitwirkende sind ein eingespieltes Team langjähriger Reichsbahner. Koffer, Tüten, Utensilien, alles, was so liegenbleibt, wird gnadenlos ausgerufen. Die meisten Schätze kommen aus den Schließfächern, die nach drei Tagen von Reichsbahnern »zwangsentleert« werden. Drei Monate kann sich der Besitzer noch melden, danach wird zugeschlagen mit dem großen, hölzernen Auktionshammer.

Kurz vor 18 Uhr haben sich die raren Sitzplätze vor der Gepäckaufbewahrung gefüllt, in der ersten Reihe die bekannten Gesichter, die Stammgäste, zumeist alte Damen aus dem Wedding und Neukölln. Die meisten müssen stehen. Der Herr von der Reichsbahn hat Routine, er kennt die Vorstellung seit 1967. Eine kurze Sprechprobe, das Mikrophon um den Hals gehängt. Ein Koffer wird feierlich geöffnet: »Wat ham wa hier? Een Schlafsack und 'nen janzen Anzug, gloob ick, 'ne Hose und noch eene, dazu jibts diverse Tih-Schörts, so sehn se aus, so jehn se raus, bei uns für acht Mark!« Bei 20 Mark gibt der Hammer den Zuschlag, schon liegt als nächstes eine kleine Herrentasche auf dem Tisch. Der Inhalt wird ausgebreitet: Es kommt Stimmung auf, ein Präservativ findet sich. »London liegt dicht bei Berlin«, kommentiert der Mann mit dem Hammer. Den Gesundheitsminister wird's freuen, London wird noch öfters ins Gespräch kommen.

Eher exotisch ist ein kleiner, sorgfältig gearbeiteter Holzkoffer mit einem Gerät, dessen Funktion im dunklen bleibt. Mysteriös auch eine Tüte mit zwei Stickrahmen. »Muß noch dran jearbeitet werden, vier Mark.« Die Stammkundin aus der ersten Reihe hebt routiniert die Hand. »Bitte sehr, die Dame!« Das Publikum hat seinen Spaß und ist mit Feuereifer dabei. Die Hand muß sich im richtigen Moment heben — und senken, denn manchmal werden unsinnige Summen erreicht. Einige können sich nicht mehr bremsen, wenn es darum geht, den unbekannten Gegner in Mark auszuzählen.

Die Spielregeln: Ab 30 Mark geht es in Fünferkadenzen weiter, ab 70 Mark muß ein Zehner draufgelegt werden. Für eine teure Kameraausrüstung wurde schon mal bis 1.000 Mark gereizt, bei Technik sitzt die Brieftasche locker. Billig sind dagegen Schirme zu haben, es gibt so viele.

Seit die DDR über den Tisch geht, wird mehr versteigert. Die gesteigerte Hektik rund um den Bahnhof Zoo schwemmt mehr und mehr Strandgut an. Früher fand das Hammerschwingen nur zweimal jährlich statt, nun alle drei Monate, und das vier Tage lang, jeweils drei Stunden. Die neue Völkerwanderung hinterläßt Spuren, es ist nicht schwer zu erraten, daß dieser Koffer in Polen, jener in der Türkei gepackt wurde. Wer etwas im Schließfach vergißt, läßt auch unbewußt sein altes Leben meistbietend versteigern, bevor er ein neues anzufangen glaubt.

Seit einiger Zeit kommen immer mehr Ostberliner, um ein Schnäppchen zu ersteigern, aber noch dominieren die Ausländer. Viele kiebitzen nur, angezogen von der Menge und der Lautsprecherstimme. Ab und zu versucht ein Witzbold den Auktionär aus dem Konzept zu bringen. »Zehn Mark«, schallt es, aber der erfahrene Herr von der Reichsbahn reagiert nur auf Handzeichen.

Wer zuschauen oder mitspielen will: Die Vorstellung dauert noch bis einschließlich Donnerstag, jeweils von 18 bis 21 Uhr. Und dann erst wieder im Dezember, wenn die Fundsachen der touristenträchtigen Sommermonate dran sind. Vielleicht gibt es dann einen japanischen Rucksack mit letzten Mauerstückchen zu ersteigern. Kazper

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