■ Edward Teller, Physiker, „Vater der Wasserstoffbombe“, über die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki: „Die Atombombe war notwendig“
taz: Herr Teller, Sie sind zusammen mit den Atomphysikern Leo Szilard und Eugen Wigner im Juli 1939 zu Albert Einstein gefahren und haben ihn dazu überredet, sich in einem Brief an den amerikanischen Präsidenten für den Bau der Atombombe einzusetzen. War das ein Fehler?
Edward Teller: Ich habe keinen Brief geschrieben, ich habe den Wagen gelenkt und bin dafür mit einer Tasse Tee belohnt worden. Als der Brief, der auf die Gefahr aufmerksam machte, daß die Nazi- Regierung die einzige wäre, die Atombombe zu bauen, geschrieben wurde, war ich nicht dabei. Ich habe ihn auch nicht gelesen.
Sie haben sich aber schon sehr früh für den Bau der Atombombe eingesetzt.
Wir mußten daran arbeiten, da hatte ich keine Zweifel. Die Atombombe war notwendig. Daß wir sie so früh hatten, war eine Folge der Nazis.
Ihr wahres Ziel aber war, die noch viel stärkere Wasserstoffbombe zu bauen.
Ja, ich war der einzige, der die Wasserstoffbombe befürwortete. Als Wissenschaftler konnte und wollte ich es nicht unterlassen, daß wir damit anfangen. Mir war bewußt, daß Stalin sich sagte: Wir werden sie haben. Wenn die Sowjetunion allein im Besitz der Wasserstoffbombe gewesen wäre, hätte das einen negativen Einfluß auf den Kalten Krieg gehabt.
Hat sich nach den Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 Ihre Einstellung zur Bombe geändert?
Als ich wenige Tage nach Hiroshima die Bilder gesehen habe, hat mich das tief beeindruckt. Im April diesen Jahres war ich in Texas zu einer dieser Versammlungen über den 50. Jahrestag des Kriegsendes eingeladen. Da gab es 20 Amerikaner, die als Kriegsgefangene in Japan waren, und die bedankten sich bei mir für ihr Leben. Ich hörte von ihnen, daß die bekannte Alternative zum Abwurf der Bombe der Angriff auf Japan selbst war. Der war geplant für Anfang November, also etwa drei Monate später. Die Japaner erwarteten diesen Angriff, und sie hatten den konkreten Plan, alle Kriegsgefangenen zu erschießen, etwa 100.000, die Hälfte davon Amerikaner. Wenn Leute fragen, ob der Abwurf berechtigt war, wissen sie das gewöhnlich nicht.
Sie hatten sich aber doch schon vor Hiroshima und Nagasaki gegen den Einsatz der Bombe in Japan ausgesprochen.
Nein, und das tut mir leid. Ich hätte über die Alternative mehr nachdenken sollen. Obwohl, wenn ich damals eine gehabt hätte, dann hätte ich auch die größten Schwierigkeiten gehabt, diese Alternative den Autoritäten zur Kenntnis zu bringen. Ich gehörte nicht zu denen, die sich beim Präsidenten Gehör verschaffen konnten.
Der Streit um die militärische Notwendigkeit von Hiroshima und Nagasaki hält auch jetzt, nach fast 50 Jahren, an. Vor kurzem erst hat US-Präsident Clinton die Abwürfe noch einmal gerechtfertigt. Was sagen Sie zu dem Streit?
Clinton sagt, daß die Kenntnisse, die der damalige Präsident Truman hatte, keine andere Wahl zuließen. Wir Wissenschaftler hätten eine Wahlmöglichkeit aufzeigen müssen. Das haben wir leider nicht getan. Wahrscheinlich ist, daß wir viel mehr Menschen gerettet als vernichtet haben. Aber das beantwortet nicht die Frage, ob es richtig war, die Bombe zu werfen. Die Wirkung der Atombombe in der Bucht von Tokio zu demonstrieren, so daß zehn Millionen Japaner es hätten sehen können, wäre besser gewesen. Mein Gefühl sagt: Es war falsch. Mein Gefühl kann sich aber täuschen. Ich kann darauf keine Antwort geben. Wir Wissenschaftler müssen herausfinden, was geht und was nicht. Die Entscheidung, wie man mit dem Wissen umgeht, muß das Volk, müssen die Politiker treffen. Meine Kritik ist nicht, daß wir die Bombe geworfen haben. Aber wir Wissenschaftler hätten eine Alternative schaffen müssen, so daß der Präsident darüber hätte entscheiden können.
Das Manhattan-Projekt war der Startschuß für das atomare Wettrüsten. Hätten die Atomphysiker nicht spätestens nach der Kapitulation Japans sich dem verweigern müssen?
In erster Linie sollte klar sein: Wissenschaftler ist Wissenschaftler. Er sollte das Wissen suchen, unter allen Umständen und ohne Grenzen. Auch die Anwendungen sollten von ihm in allen Beziehungen erweitert werden. Nachdem wir die Kenntnisse und die Instrumente entwickelt haben, hört unsere Verantwortung als Wissenschaftler auf, insbesondere bei den politischen und moralischen Entscheidungen.
Und so forscht der Wissenschaftler und forscht, entwickelt neue Waffen, bessere Bomben ...
Ich bin durchaus dafür, neue Waffen zu entwickeln. Was wir als Wissenschaftler aber tun müssen, ist, die Konsequenzen vorherzusagen, wenn wir es tun und wenn wir es nicht tun. Wir müssen versuchen, ein vollkommenes Wissen anzustreben. Mit jeder Möglichkeit, neue Waffen zu schaffen, gibt es auch eine Möglichkeit der Wohltat für den Menschen.
Ein seltsames Denken. Sie drehen die Rüstungsspirale weiter und weiter.
Was existiert, kann kaum abgeschafft werden. Ich möchte die Geheimnisse abschaffen. Die allgemeinen Teile der Waffen sollen jedem klargemacht werden. Ich bin weniger dagegen, daß ein neues Land diese Waffen besitzt. Ich bin dagegen, daß ein Land im geheimen diese Waffen besitzt. Die Methode, Frieden zu schaffen, ist nicht durch negative Aktionen möglich, sondern nur durch positive Zusammenarbeit, zum Beispiel für ein Schutzschild durch Atombomben.
Sie waren vor kurzem in Osaka, in Japan, um eine „Edward-Teller-Medaille“ zu vergeben. Sind Sie dort auch mit japanischen Überlebenden der Atombombenexplosionen zusammengetroffen?
Nein, ich habe keinen getroffen, der mit den Atombombenabwürfen irgend etwas zu tun hat. Ich habe auch keine Abstecher nach Hiroshima oder nach Nagasaki gemacht. Wozu auch? Interview: Wolfgang Löhr
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