■ Editorial: Teure Wahrheit
„Gercekler karanlikta kalmayacak“ – „Die Wahrheit wird nicht im dunkeln bleiben“, steht auf den Werbeplaketten für die Zeitung Özgür Gündem. Dieser Anspruch ist den JournalistInnen und MitarbeiterInnen der Zeitung teuer zu stehen gekommen: Özgür Gündem („Freie Tagesordnung“), die als einzige Tageszeitung in der Türkei konsequent Menschenrechtsverletzungen in allen Teilen des Landes aufdeckt, sich für eine politische Lösung der kurdischen Frage einsetzt und in ihren Spalten auch die PKK/ERNK als Kriegspartei zu Wort kommen läßt, ist Regierung und Armeeführung ein gewaltiger Dorn im Auge und damit vorrangige Zielscheibe der Repressionsorgane: In den zwanzig Monaten ihres Bestehens wurden sechs JournalistInnen und elf weitere Mitarbeiter – vor allem Handverkäufer – der Gündem von staatlich protegierten Killern ermordet, darunter angesehene Schriftsteller wie Musa Anter oder das PEN-Mitglied Hüseyin Deniz. Aysel Malkac, die für die Zentralredaktion in Istanbul arbeitete, ist seit dem 7. August letzten Jahres „verschwunden“. Freunde und Kollegen befürchten, daß auch Aysel von der Polizei zu Tode gefoltert wurde. Ein Verteiler der Zeitung wurde in seinem Auto verbrannt.
Jede Ausgabe wird verboten
Gleichzeitig wurden Herausgeber, AutorInnen und JournalistInnen der Zeitung mit einer Welle von 300 Strafverfahren überzogen, in denen bislang schon mehrere Jahrhunderte Gefängnisstrafen verhängt wurden. Derzeit befinden sich über vierzig AutorInnen und MitarbeiterInnen der Özgür Gündem in Haft. Seit August vergangenen Jahres verbietet das zuständige Staatssicherheitsgericht in Istanbul ausnahmslos jede Ausgabe der Gündem. Je nach Fleiß und Ausdauer des diensthabenden Staatsanwaltes werden zwischen drei und acht Artikel der täglichen Ausgabe „inkriminiert“.
Berichte über Menschenrechtsverletzungen in den „östlichen“ Provinzen werden in der Regel nach dem Antiterrorgesetz geahndet, da sie – wenn Folterer bzw. verantwortliche Offiziere namentlich erwähnt werden – diese „zur Zielscheibe“ machen. Eine andere beliebte Verbotsbegründung, mit der beispielsweise eine Auflistung staatlicher Morde an Kurden während der Monate Dezember und Januar verboten wurde, lautet, durch den Bericht solle „der Eindruck erweckt werden, daß die östliche Bevölkerung dieser Region von Staatsseite unterdrückt wird, und zu Haß und Feindschaft aufgestachelt werden“.
Bislang haben die Verbote die Verbreitung der Özgür Gündem allerdings nicht verhindern können, da die Verbotsverfügung gewöhnlich erst am Nachmittag überbracht wird, wenn die Ausgabe bereits ausverkauft ist. Trotz aller Einschüchterungs- und Repressionsmaßnahmen sind auch die Herausgeber und MitarbeiterInnen der Zeitung entschlossen, unter allen Umständen weiterzumachen. Sie verdienen unsere Unterstützung. Corry Guttstadt
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