Eckart von Hirschhausen im Gespräch: „Ich bin Ernstnehmer“

Eckart von Hirschhausen macht Ernst: Er hat seine Bühnenkarriere beendet, um sich mit voller Kraft gegen die Klimakrise zu engagieren. Kein Witz.

»Was gibt es für gute Ideen?«: Eckart von Hirschhausen beim World Health Summit auf der Frankfurter Allee, Berlin Foto: Dominik Butzmann/laif

taz FUTURZWEI: Herr von Hirschhausen, Sie beenden Ihre sehr erfolgreiche Karriere als Bühnenkomiker, um sich mit großem zeitlichem Aufwand gegen die eskalierende Klimakrise zu engagieren. So ernst macht bisher kaum jemand. Wie kam das?

Eckart von Hirschhausen: Die Entscheidung, mit dem Bühnenprogramm aufzuhören, ist mir nicht leichtgefallen. Ich bin Jahrgang 1967, ich bin immer Bühnenkünstler gewesen, von der Straßenzauberei in Studentenzeiten, dem Scheinbar-Varieté über den Berliner »Wintergarten« bis hin zur Waldbühne. Das war toll, ich bin dankbar für alles, aber die Welt ist nicht mehr wie vor zehn Jahren – und ich bin es auch nicht. Ich engagiere mich ja schon länger, aber ich habe eines gemerkt: Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören. Ich kann das also nicht nebenher machen, und ich kann es auch nicht allein machen.

Sie haben 2020 eine zweite Stiftung gegründet.

Ja. Die erste war »Humor hilft heilen«. Die macht auch weiter, aber ich will mich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen. Dafür braucht es mehr Profis und mehr Promis. Die »dunkle Seite der Macht« ist bestens finanziert, bestens vernetzt und extrem mächtig. Das Einzige, was hilft, und da spricht der Komiker in mir, ist das David-gegen-Goliath-Prinzip. Mehr Geist, mehr Witz, die besseren Geschichten. Deswegen habe ich mit der Stiftung »Gesunde Erde – Gesunde Menschen« zehn Profis um mich geschart. Das sind Brückenbauer aus Kommunikation, aus Nachhaltigkeitswissenschaften und Menschen, die im Gesundheitswesen vernetzt sind. Wir brauchen Leute, die in verschiedene Bubbles hinein korrespondieren können. Dafür gibt es keine Arbeitsplatzbeschreibung, dafür gibt es erstmal keine Fördermittel und auch keine Stellenausschreibungen. Ich halte das aber in so einer Umbruchphase wie jetzt für zentral. So kann man zwischen den verschiedenen Aktiven, zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Journalismus und Politik hin und her flitzen und horchen: Was gibt es wo für gute Ideen? Wo gibt es agile Leute? Kennen die sich? Sind die miteinander vernetzt?

Der Mann: Geboren 1967 in Frankfurt am Main. Die Familie bekam den Adelstitel im 19. Jahrhundert vom Zar verliehen. Promovierte in Medizin, entwickelte dann die Bühnenfigur des komischen Arztes und wurde damit zu einem der populärsten Bühnen- und Fernsehentertainer des Landes sowie zum erfolgreichster Sachbuchautor Deutschlands. Mit dem Programm Endlich beendet er Ende März seine Bühnenkarriere.

Die Stiftung: Im März 2020 gründete Hirschhausen die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen. Sitz ist Berlin. Infos: stiftung-gegm.de

Das Buch: Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben. dtv 2021 – 524 Seiten, 24 Euro

Sie sprechen schon länger in Talkshows und Interviews aus ärztlicher Sicht über den Zusammenhang von Klimakrise und Schäden für die Gesundheit. Warum reicht das nicht mehr?

Ich habe mit der Freiheit des Hofnarren schon immer ernsthafte Themen verhandelt. Aber solange du dich als Kabarettist titulierst, erwartet jeder nach dem dritten Satz die Pointe. Und diese Erwartung passt nicht mehr zu dem, was ich die letzten vier Jahre gelesen, verstanden und auch geschrieben habe. Deswegen habe ich bildhaft die rote Nase abgesetzt und nehme meine Aufgabe in der Gesellschaft als Mediziner wahr, die darin besteht, erstmal die Dringlichkeit der Diagnose zu vermitteln, über Talkshows, über Bücher, über Dokumentarfilme. Denn nur, wenn man weiß, wie bedrohlich die Situation ist, versteht man die notwendigen Therapiemaßnahmen. Diese ärztliche Reihenfolge wird in der Klimafrage nicht eingehalten.

Haben wir uns tatsächlich schon über die Diagnose verständigt?

Nein. Uns fehlt die Antenne, um die Dimension zu begreifen. Dafür brauchen wir Wissenschaft. Deswegen habe ich damals die Scientists for Future mitgegründet. Die Klimakrise wurde lange medial als etwas zeitlich und räumlich Distanziertes verhandelt. Es war irgendwann in der Zukunft, es war irgendwie alles weit weg, es war Bangladesch, es war der Eisbär. Was der Lancet Climate Countdown und andere wissenschaftliche Publikationen mir klargemacht haben: Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr. Und diese persönliche Note, dieser Bezug zu mir selbst, die hat für mich entscheidend in der Kommunikation gefehlt. Das ist, glaube ich, der Puzzlestein, den ich beibringen kann.

Wie haben Sie selbst die Dimension verstanden?

Die Aha-Erlebnisse, auch der subjektiven Art, kamen bei mir ziemlich schnell hintereinander. In einem Interview mit der Schimpansenforscherin Jane Goodall hat sie mir diese berühmte Frage gestellt: »Wenn wir behaupten, die schlauste Art auf dem Planeten zu sein, warum zerstören wir dann unser Zuhause?« Dann war ich mit der Familie in Italien. Das Mittelmeer war pisswarm, hatte nichts Abkühlendes mehr. Ich putzte meine Schwimmbrille und dachte: Warum ist die so beschlagen? Dann realisierte ich: Das Wasser war so trübe, lauter kleine Plastikteile. Ich lief raus und ekelte mich. Das war ein weiterer Eye-Opener. Der dritte Moment war 2019 eine Einladung, auf der Demo von Fridays for Future zu sprechen. Ich wollte das nicht allein machen und habe meinen Bruder und seine Tochter gefragt. So haben wir eine Mehrgenerationenrede gehalten, um zu sagen, dass dieses Thema jede Familie angeht. Ein Erfolg der fossilen Lobby besteht nämlich darin, Überlebensfragen immer noch als ein Partikularproblem oder Hobby von einzelnen Leuten zu framen.

Können Sie das genauer beschreiben?

Keiner kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen, noch nicht mal ein Privatversicherter. Aber immer noch wird medial so getan, als »gehörte« das Thema Erhalt unserer Lebensgrundlage einer Partei, einer Generation, einzelnen Vertreter:innen. Das ist auch Quatsch, dass es nur ein Problem der jungen Menschen ist, was gerade passiert. Jeder unter 70 wird die nächsten Jahre leiden unter Hitze, Extremwetter, Dürre und kollabierender Infrastruktur. Wenn ich in eine Talkshow eingeladen werde oder in einer Doku zu Wort komme, gibt es immer wieder die Haltung, dass man den Protagonisten damit einen Gefallen tut. Klima ist aber kein »Thema« – es ist eine Dimension hinter jedem Thema. Jahrelang hatte ich mit dem Bühnenprogramm und meinen Büchern immer einen Promo-Zweck in den Talkshows. Das ist jetzt für mich ein Stück Befreiung, wenn ich sagen kann: Ich muss euch nichts verkaufen. Nur sagen, es ist ernst, und jeder kann was tun, es gibt noch Hoffnung.

Was kann man tun?

Der beste Weg, die Zweifler und Bremser auszuhebeln, ist, das Positive zu zeigen, wo schon etwas geht. Weniger als 100 Prozent erneuerbare Energie ist eine Beleidigung der Intelligenz unserer Ingenieure – hat Hermann Scheer gesagt. Ich habe in der letzten Ausgabe von taz FUTURZWEI gelesen: Die Zukunft ist kaputt. Das stimmt: Wir haben zu wenige konkrete Bilder und Idee, wo wir hinwollen. Wir könnten es so viel schöner haben als jetzt – und gesünder!

Die Zukunft von gestern war eine Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die sich an Zukünfte klammert, wie man sie sich im letzten Jahrhundert erdacht hat, aber keine auf Grundlage der heutigen Realität.

Aber wenn alles, was wir von der Zukunft erwarten, ein Niedergang, ein Verlust, eine unberechenbare Welt ist, dann klammert sich jeder an den Status quo. Und den Status quo zu verteidigen, ist der sicherste Weg, ihn zu verlieren. Das ist diese Schizophrenie, mit der wir uns so schwertun. Ein anderes kognitives Brett ist die Irreversibilität. Da ist bei Ihnen, Herr Welzer, ja durch Ihren Herzinfarkt auch der Groschen gefallen, und wir haben zeitgleich, unabhängig voneinander, die These entwickelt: Die Endlichkeit des eigenen Lebens nicht zu sehen, geht einher mit der unendlichen Verschwendung von Ressourcen.

»ICH HABE MIT DER FREIHEIT DES HOFNARREN SCHON IMMER ERNSTHAFTE THEMEN VERHANDELT. ABER ALS KABARETTIST ERWARTET JEDER VON DIR NACH DEM DRITTEN SATZ DIE POINTE.«

Eckart von Hirschhausen

Haben Sie das überwunden und wenn ja, wie?

Es hilft mir, dass ich mich die ersten drei Jahrzehnte meines Lebens mit Zauberei beschäftigt habe, der Psychologie der Täuschung. Das erhöht enorm die eigene Bullshit-Resistenz. Beim Zaubern geht es gar nicht um »Ablenkung«, sondern darum, die Aufmerksamkeit an eine bestimmte Stelle zu lenken, wo gar nichts passiert ...

Letztlich wie in der Politik

... stimmt! Ich sehe mich nicht als radikalen Aussteiger, aber ich will mich auch nicht dümmer stellen, als ich bin. Ich kann nicht mehr ständig gute Laune verbreiten, wenn das, was gerade passiert, sich nicht für eine ironische Brechung eignet. Keine Panik, aber Priorität, die Realität nicht brechen, sondern ernst nehmen.

Das heißt, man kann den Ernst der Klimakrise Leuten nicht mit einer roten Nase nahebringen? Gleichzeitig funktioniert es aber auch nicht mit dem jahrelang von Ökos praktizierten Katastrophismus.

Ich bin sehr geprägt von Neil Postmans Wir amüsieren uns zu Tode. Ich habe das 1985 zu Anfang meines Studiums halblegal verschlungen.

Wieso halblegal?

Damals kaufte ich eine Raubkopie vor der Mensa. Postman war ein echter Prophet, hat die Mechanismen vorhergesagt, wie Leute wie Trump gewählt werden, weil sie durch Fernsehen für irgendwas bekannt sind, dass Ämter nach Unterhaltungswert verteilt werden. Und das Zweite, was mir sehr eingeleuchtet hat: dass Quizshows deswegen im Fernsehen so populär sind, weil wir Wissen nur noch bruchstückhaft aufnehmen. Postman sagte: »Die einzige Verwendung von nutzlosem Wissen ist, es genauso bruchstückhaft abzufragen, wie wir es erworben haben.« Quizshows sind also nicht die Frage, sondern die Antwort. Der junge Satiriker El Hotzo postete neulich: »Alles, was ich über die Windsors gelernt habe, habe ich unwillentlich gelernt.«

»Abgründe von Hate- und Social-Media-Kacke«: Hirschhausen am Tagebau Garzweiler Foto: Dominik Butzmann/laif

Jetzt kommt Medienkritik?

Harry, Meghan und William, auch wer wem gerade in Hollywood eine gescheuert hat, kann mir doch eigentlich egal sein, aber das bindet unfassbar Aufmerksamkeit. Ich finde den Film Don't Look Up großartig ...

... in dem Leonardo DiCaprio als Wissenschaftler in einer Fernsehtalksendung berichtet, dass in Kürze ein Meteorit die Erde zerstören wird, und komplett ignoriert wird, weil die schlechte Nachricht nicht in das Format passt ...

... ich finde den Film auch deshalb großartig, weil auch ich fünf Jahre Gastgeber einer Talkshow war und mich immer mit der Redaktion darüber gestritten habe, ob wir auch Leute einladen, die was Spannendes zu erzählen haben, aber unbekannt sind. Gerade aus der Wissenschaft. Die Standardfrage der Redakteurin war immer: »Ist dieser Mensch gesichtsbekannt?« Und ich fragte dann: »Für welche Körperteile kann man denn sonst noch bekannt werden?« Ich wäre heute in der Gefahr, die Promis alle zu fragen: Was tust du gegen die Klimakrise? Oder: Wovor hast du Angst? Wir haben über eine Million Menschen, die psychisch krank sind aufgrund von Klima- und Umweltkrise.

Wirklich?

Ja, diese Zahl ist unfassbar. Metastudien zeigen, dass pro Grad Erwärmung 0,9 Prozent der Bevölkerung psychisch krank wird. Erstens durch die Hitze. Die ist Gift fürs Hirn. Hitze führt zu mehr psychischen Krankheiten, zu mehr Autounfällen, zu mehr Suiziden, zu mehr Aggressions- und Gewalttaten. Zweitens: Die pure Angst vor dem, was kommt, macht krank. Normalerweise ist die therapeutische Antwort auf eine Angststörung, dem Patienten zu sagen, warum seine Angst irrational ist. Wenn jemand Höhenangst hat, dann gehst du mit dem auf den Turm und der schaut dann runter und sieht: Ach, guck mal, ich lebe noch. Bei der Klimaangst ist die Irrationalität aber nicht auf der Seite des Patienten, sondern auf der Seite des Systems. Unser therapeutisches Handwerkszeug greift daher ins Leere.

»WEM VERTRAUT DIE BEVÖLKERUNG DENN NOCH? POLITIK UND JOURNALISMUS SIND GANZ UNTEN, GANZ OBEN SIND FEUERWEHRLEUTE, PFLEGEPERSONAL, RETTUNGSSANITÄTER, ÄRZTE.«

Eckart von Hirschhausen

Und Punkt drei?

Feinstaubpartikel aus dem Straßenverkehr, aus dem Reifenabrieb, aus der Kohleverstromung und so weiter führen zu chronischen Entzündungsvorgängen in praktisch allen Organen und eben auch im Hirn. Das ist ein neuer Faktor für Demenz, für Psychosen, für Überlastung. Vor allem Hitze ist für mich ein zentrales Thema, wo ich sage: Leute, wir können uns da nicht rauskaufen.

Ein paar Milliardäre denken das aber.

Ja. Du kannst, wenn du reich bist, einen klimatisierten Bunker in Neuseeland kaufen. Aber kein Mensch hat eigene biologische Gesetze. Wenn du ein rohes Ei in warmes Wasser tust, da reichen 45 Grad, dann wird es hart und zwar irreversibel. Auch wenn das Wasser wieder abkühlt, wird das Ei nicht mehr weich. Aus einem gekochten Ei wird auch nie mehr ein Küken. Es gibt kein Zurück mehr. Die Chance auf Leben ist für immer vertan. Woraus besteht ein Ei? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Woraus besteht unser Hirn? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Wir haben genau die gleichen Bausteine. Und da merke ich bei Vorträgen, wie bei den Leuten plötzlich so ein Groschen fällt. Klar müssen wir Emissionen reduzieren, aber das, was jetzt ansteht, ist sich bewusst zu machen: Die nächsten Sommer werden alle heißer und heißer und heißer werden. Wir brauchen dafür resiliente Infrastruktur. Vielleicht wissen Sie, was in England letzten Sommer passierte?

Nein.

Es war so brüllend heiß, dass der Asphalt auf den Landebahnen weich wurde. Da brauchst du keine Klimakleber mehr, wenn die Privatjets von allein auf dem Asphalt festkleben. Dinge in unserer Infrastruktur erreichen einfach eine physikalische Grenze. Krankenhäuser, Altenheime, gerade Orte für vulnerable Gruppen, werden zu Hitzefallen. Das, finde ich, ist unfassbar ignoriert worden bisher.

Es wird auch bewusst und absichtlich weiter ignoriert. Denken Sie an Verkehrsminister Wissing, der im letzten Jahr angesichts der Niedrigwasser in den deutschen Flüssen den Vorschlag gemacht hat, sie zu vertiefen. Es gibt aber eben nicht nur ein individuelles Unbewusstes, sondern auch ein kollektives oder gesellschaftliches Unbewusstsein. Wir reproduzieren einen bestimmten Schleier. Damit wir nicht Ernst machen müssen. Fangen denn Leute, mit denen Sie sprechen, tatsächlich an, die Erderhitzung ernst zu nehmen?

Ich bekomme überwältigend viel positive Rückmeldungen. Aber es tun sich auch Abgründe auf von Hate- und Social-Media-Kacke. Plötzlich bin ich auf der Liste der Nürnberg 2.0 gelandet und dann heißt es: »Wenn wir Nazis die Herrschaft haben, werden wir nicht vergessen, wer sich für Corona-Maßnahmen ausgesprochen hat.«

»DA BRAUCHST DU KEINE KLIMAKLEBER MEHR, WENN DIE PRIVATJETS VON ALLEIN AUF DEM ASPHALT FESTKLEBEN.«

Eckart von Hirschhausen

Wie gehen Sie damit um?

Da hat mir jemand Kluges gesagt: Eckart, nimm das als verstecktes Lob, du wirst mit deiner Stimme und deiner Haltung ernst genommen. Klar wird die Ei-Geschichte nicht sofort dazu führen, dass jemand seinen SUV verkauft. Aber gerade der medizinische Blick macht klar: Das sind nicht nur linke Ökospinner, die das sagen, das ist Konsens in der Wissenschaft, im IPCC, im PIK, in der Bundesärztekammer.

Gibt es eigentlich auch Leute, die Sie früher blöd fanden und nun nicht mehr?

Ja, tatsächlich. Viele kommen auf mich zu und sagen: Mensch, mit Ihren Comedy-Programmen konnte ich nicht so viel anfangen, aber ich wollte Ihnen einfach mal Danke sagen für das, was sie gerade tun. Gerade ist mir das mit einem 18-Jährigen am Berliner Hauptbahnhof passiert. Das habe ich vorher nie erlebt. Das rührt mich auch. In solchen Momenten denke ich: Du sendest nicht nur irgendwas in einen Raum, da kommt auch etwas an und es kommt etwas zurück.

Ihre Erfolgsgrundlage war ja immer die Glaubwürdigkeit durch den medizinischen Doktortitel. Nutzt Ihnen das auch jetzt noch?

Ja, denn wem vertraut die Bevölkerung noch? Bei den Befragungen zu Berufsgruppen ist die Politik und der Journalismus ganz unten, ganz oben sind die Feuerwehrleute, Pflegefachkräfte, Ärztinnen, Ärzte, Rettungssanitäter, also alle, die am Leid der Menschen nah dran sind und erst mal nicht im Verdacht stehen, ihren Job aus Gewinnmaximierung auszuüben.

Hirschhausen mit Luisa Neubauer bei einem Fridays-for-Future-Streik in Berlin Foto: Dominik Butzmann/laif

In Ihrem Buch Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben finden Sie neue Geschichten, andere Bilder, überraschende Vergleiche. Etwa wenn Sie sagen, die Erderhitzung ist das Fieber, das Artensterben die Demenz der Erde.

In jeder Art steckt unfassbar viel Überlebenswissen. Das verschwindet für immer. Wenn wir als Kinder in den Urlaub gefahren sind, haben wir an jeder Tankstelle die Scheibe geputzt, weil da so viele Insekten dran klebten. Das kennt ein Kind von heute gar nicht mehr.

Hatten wir auch vergessen.

In dem Moment aber, wo man sich daran erinnert, wird einem klar: Aha, 75 Prozent oder mehr der Insektenpopulation sind weg. Und das kann uns nicht egal sein, weil nichts von dem, was im Supermarkt verkauft wird, im Supermarkt wächst. Fast alles auf deinem Frühstückstisch beruht auf Bestäubern, vom Kaffee über das Obst bis zum Tischtuch.

Es gibt ja liberalkonservative Kräfte, die krampfhaft versuchen, eine Thematisierung der Menschheitsbedrohung durch die Klimakrise als »Aktivismus« zu denunzieren, der nicht journalistisch sei. Sind die Öffentlich-Rechtlichen gegenüber solchem Framing nicht viel zu ängstlich?

Die klassische Haltung, die in Nachrichten auch völlig richtig ist: Man macht sich nicht mit dem Gegenstand der Berichterstattung gemein. Und reagiert auch nicht emotional. Caren Miosga oder Ingo Zamperoni sollten nicht anfangen zu heulen, während sie etwas vorlesen. Das ist Teil der Professionalität. Wenn man sich aber darüber Gedanken macht, wieso Wissenschaft sich nicht in Handeln übersetzt, dann ist die Sprache der Wissenschaft ein Teil der Krux, weil sie alles dafür tut, den persönlichen Blickwinkel herauszurechnen.

Was folgt daraus?

Im öffentlich-rechtlichen System ist es wichtig, dass die Summe der Beiträge ausgewogen ist, aber nicht jeder einzelne Beitrag. Was bei Social Media längst gelernt ist, nämlich, dass ich einem Menschen mit einer Haltung, mit einer Expertise, gerne folge, das kommt so langsam auch im Öffentlich-Rechtlichen an. Das ist auch eine Generationenfrage. Die Programmmacher kommen aus einer älteren Generation, die das möglichst distanziert haben will und auch Dokus ohne Presenter. Die jüngere Generation interessiert sich weniger für Themen, sondern mehr für die Protagonisten und darüber dann auch für das Thema.

»ICH BIN KEIN KLIMA-AKTIVIST. AKTIVIST MAG ICH NICHT, WAS IST DENN DAS GEGENTEIL, EIN PASSIVIST?«

Eckart von Hirschhausen

Nun machen Sie Ernst, verzichten ja aber nicht gänzlich auf Pointen. Wir haben das mit Ihrem Satz getestet: »Wir haben einen planetaren Notfall. Sich darum nicht mit oberster Prio zu kümmern, wäre unterlassene Hilfeleistung.« Alle mussten kichern. Aber damit hatte sich auch das Problem zumindest für den Moment in einem guten Gefühl des wissenden Lachens aufgelöst.

Also ich bin Karl Valentin sehr dankbar für diesen schönen Satz. »Wenn es regnet, freue ich mich. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.« Ich glaube, dass Verbiesterung nicht weiterhilft. Joko Winterscheidt, Jan Böhmermann, ganz viele, die aus dem Unterhaltungsbereich kommen, sind heute auf eine kuriose Art und Weise glaubwürdiger als die klassischen Warner. In den USA sind Menschen wie John Oliver glaubwürdiger als manche Nachrichten. Man kann sich darauf verlassen, dass das recherchiert ist. Und trotzdem ist es eine unterhaltsame und sehr moderne Form, die Millionen Leute erreicht. Ich glaube, dass diese Trennung in U und E sich überlebt hat, und dass modernere Medienfiguren heute mehrere Seiten haben dürfen als eine.

Wie findet man denn nun in der ARD Ihr intensiviertes Engagement?

Manche finden es gut.

Manche nicht?

Ich mache ja inzwischen jeden Mittwoch vor der Tagesschau Wissen vor acht – Erde. In der Mediathek kann man sich die Folgen alle hintereinander angucken. Darüber bin ich sehr happy. Als ich einmal gesagt habe, ein Liter Milch hat den CO2-Abdruck von einem Liter Benzin, da kriegte ich die erwartbaren Briefe von der Bauernlobby. Aber es zeigt, dass es gesehen wird. Übrigens habe ich während dieses Gesprächs – vielen Dank dafür – eine neue Berufsbezeichnung für mich gefunden …

Wie lautet sie?

Aktivist mag ich nicht, was ist denn das Gegenteil, ein Passivist? Es gibt doch ein Kontinuum auf der Skala von Sesselpupser bis Klimakleber. Wenn ich mich schlaumache und dann den Mund aufmache, ist das noch weit weg vom zivilen Ungehorsam. Wenn ich das nächste Mal gefragt werde: »Sind Sie Klimaaktivist?«, dann werde ich sagen: »Nein, ich bin Ernstnehmer.«

Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER

Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.

.
.