EUROFACETTE: Patent auf Leben
■ Von Krebsmäusen, Rinderhühnchen und Menschenschweinen
Die Gentechnologie schafft sich ihre Eigentumsverhältnisse: Nicht mehr nur eine bestimmte Zahl ganzer Lebewesen — Hunde, Schweine, Kühe — werden in Zukunft besessen, sondern Eigenschaften des Lebens wie Vermehrungsfähigkeit, Resistenz, Wachstum. Ein neues Feld der Ausbeutung von Natur und Leben tut sich auf. Die industrielle Herstellung und Vermarktung von Lebewesen aller Art durch Rekombination des ihnen innewohnenden Erbguts. Auf gentechnisch veränderte Mikroorganismen und Pflanzen trifft dies schon länger zu. Seit diesem Oktober sind auch Tiere davon betroffen.
Das Europäische Patentamt hat die bereits 1988 in den USA patentierte „Krebsmaus“ jetzt auch in Europa verwertbar gemacht. Krebsmäuse sind durch die Einschleusung menschlicher Krebsgene besonders anfällig für krebserzeugende Substanzen. Der Patentschutz gilt aber nicht nur für diese besondere Art lebendiger Krebsmeßgeräte, sondern für alle dergestalt umgebauten Säugetiere, mit Ausnahme des Menschen. Die Tür ist damit aufgestoßen: Nun kann endlich damit begonnen werden, die lange Liste von Patentanträgen für andere transgene Tiere zu genehmigen — das Hühnchen mit eingebauten Wachstumsgenen von Rindern, das Schwein mit humanen Wachstumsgenen, das Schaf als lebendige Arzneimittelfabrik.
Derartige Patente läßt auch der neue Richtlinienvorschlag der EG-Kommission zu. Da heißt es in Artikel 2: „Der Gegenstand einer Erfindung darf nicht allein deshalb, weil er aus lebender Materie besteht, als nicht patentfähig gelten.“ Damit wird juristisch schlicht nachgezeichnet, was technologisch vorgegeben und vom Patentamt bereits vollstreckt wurde. Zwar darf das Europaparlament noch bis Dezember dazu Stellung beziehen. Der EG-Ministerrat wird dann jedoch im Alleingang entscheiden. Wie man hört, haben die Minister bereits akzeptiert, daß die neuen Technologien quasi naturwüchsig unser ethisches und Rechtsempfinden bestimmen.
Schließlich bieten Patente auf Lebendiges mehr als herkömmliche Industriepatente. Für den Erfinder des Dosenöffners bedeutet das Patent, daß alle Fabrikanten, die sein Gerät nachbauen, eine Gebühr an ihn zu zahlen haben, in der Regel über einen Zeitraum von 20 Jahren. Bauern, die sich eine patentierte Turbokuh in den Stall stellen, müssen ebenfalls für jedes geborene Turbokälbchen eine Nutzungsgebühr berappen. Im Prinzip werden damit aber auch alle Nachfolgeprodukte erfaßt, einschließlich der daraus fabrizierten Würste und Schnitzel. Letzteres wird allerdings wenig praktikabel sein. Bedeutender sind andere Unterschiede:
1.Dosenöffner vermehren sich nicht von selbst, sie werden nachgebaut. Lebewesen dagegen wohnt diese Fortpflanzungsfähigkeit inne. Der Patentinhaber der Turbokuh nähme diese Fähigkeit gratis für sich in Anspruch. Obwohl seine Leistung nur im Einbau des Turboelements in die Kuh besteht, erhebt er mit dem Patent auf einen Teil der Kuh Anspruch auf den gesamten Organismus.
2.Dosenöffner haben keine Ahnen. Wie alle Nutzpflanzen und -tiere sind Milchkühe hingegen über Jahrhunderte vom Menschen gezüchtet worden. Mit der Anerkennung von Patenten auf Lebewesen profitieren jedoch nur die Newcomer, und zwar auf Kosten derer, die die Vorleistungen erbracht haben. Der freie Zugang zu den lebendigen Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft wird mit Patenten versperrt. Zumal sie ja auf Pflanzen und Tiere vergeben werden, die angeblich Spitzenleistungen erbringen und dadurch zum preisbestimmenden Maßstab werden. Besonders Entwicklungsländer, aus denen die genetische Vielfalt der modernen Landwirtschaft zehrt, werden per Patent noch weiter in Abhängigkeit und Verschuldung getrieben.
3.Dosenöffner wirken nicht selbstständig auf die sie umgebende Umwelt zurück. Anders dagegen die Turbokuh. Dank veränderter Pansenbakterien und modifizierten Rinder-Wachstumshormonen kann sie viel schneller Milch, Fleisch und Kälber, aber auch völlig neuen Mist liefern. Dies wirkt sich nicht nur auf die natürliche, sondern auch auf die landwirtschaftliche Umgebung aus. Je mehr eine Turbokuh leistet, um so schneller verdrängt sie alle herkömmlichen Kühe aus Wiesen und Ställen. Ihr Erfolg bewirkt eine weitere Verarmung der genetischen Vielfalt. Damit steigen jedoch die Gewinnchancen der Patentinhaber. Denn mit dem Verlust natürlicher Stabilität der Agrarproduktion durch hohe Artenvielfalt steigt der Bedarf an gentechnischen Korrekturen.
Läuft der exklusive Eigentumstitel an Lebewesen nicht auf die restlose Ab-Schöpfung der Natur hinaus? Was bleibt noch übrig von der Natur und vom Menschen nach der völligen Zerstückelung in Patente auf Gene, Zellen und Organe? Sicher wird es nicht reichen, eine Demarkationslinie irgendwo beim Eintritt in die menschliche Sphäre zu ziehen, wie es viele Befürworter der schönen neuen Welt großzügig anbieten. Angesichts der bröckelnden Substanz des Begriffs Ethik wird diese Grenze zerfallen wie die Berliner Mauer.
Es spricht für sich, wenn der für die Stellungnahme des Europaparlaments zuständige Abgeordnete schulterzuckend feststellt, daß „in dieser Runde der Gesetzgebung das Handwerkszeug zur ethischen Beurteilung der aufgeworfenen Fragen noch nicht zur Verfügung steht“. Hannes Lorenzen
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