EU-Vertrag unterzeichnet: Die Wackelpartie beginnt
Die EU-Mitgliedstaaten haben die veränderte Verfassung unterzeichnet. Doch in Großbritannien macht die Opposition für eine Volksabstimmung mobil.
Die meisten Gäste sahen ziemlich zerknittert aus, als sie bei strahlend blauem Himmel den ebenso blauen Teppich vor Lissabons berühmtestem Kloster abschritten. Ursprünglich war der Bau aus fein ziseliertem Sandstein errichtet worden, um Portugals Entdecker zu ehren. 1985 wurde hier Portugals Beitrittsvertrag zur Europäischen Union unterzeichnet. Das Hieronymus-Kloster schien also die ideale Kulisse, um Europas lange umstrittenen neuen Vertrag zum Ende der portugiesischen Ratspräsidentschaft feierlich zu unterzeichnen.
Doch für die 26 angereisten Staats- und Regierungschefs bedeutete die Zeremonie vor allem Reisestress. Vergangenes Wochenende waren sie zum europäisch-afrikanischen Gipfel in die Stadt am Tejo gekommen. Am Freitag treffen sie sich in Brüssel zum Dezembergipfel der EU wieder. Ein weiterer Abstecher nach Lissabon schien vielen übertriebene Mühe, zumal das Vertragswerk die Wackelpartie in den Mitgliedsländern noch gar nicht bestanden hat.
Großbritanniens Premier Gordon Brown gab vorsorglich Terminprobleme an. Er wollte sich nicht dabei filmen lassen, wie er das von britischen Konservativen als tiefen Einschnitt in die Landessouveränität verteufelte Werk unterzeichnete. Am Mittwoch hatten britische EU-Abgeordnete der Tories und der Unabhängigkeitspartei bei der feierlichen Unterzeichnung der Grundrechte-Charta in Straßburg einen Vorgeschmack auf die Kampagne geboten, mit der sie in den kommenden Monaten auf der Insel gegen den neuen Vertrag kämpfen werden. Sie verlangen, dass Brown das Volk an die Urnen ruft - und hoffen, dass sie damit das Projekt zum Scheitern bringen können.
2004 war die geplante EU-Verfassung an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Daraufhin wurde Anfang des Jahres unter deutscher Präsidentschaft neu verhandelt. Beim Juni-Gipfel setzte Angela Merkel vor allem gegen polnischen und britischen Widerstand einen präzisen Verhandlungsfahrplan durch. Im Oktober erreichten die Portugiesen ein Ergebnis, das sich in der Substanz nur wenig von der EU-Verfassung unterscheidet. Der Kommissionspräsident muss künftig von der Mehrheit des Europäischen Parlaments bestätigt werden. Ein Außenminister, der sowohl im Ministerrat als auch in der Kommission verankert ist, soll für mehr Stimmigkeit in der europäischen Außenpolitik sorgen. Beim großen Haushaltsposten Agrarpolitik erhält das EU-Parlament Mitentscheidungsrecht. Komplizierte Kompromisse sorgten aber dafür, dass der Text für Laien unlesbar ist und auch für Juristen eine Herausforderung bedeutet.
Frankreich und die Niederlande wollen diesmal auf ein Referendum verzichten. Auch das dänische Parlament hat beschlossen, das Volk nicht zu befragen. Doch in Irland schreibt die Verfassung vor, dass ein neuer EU-Vertrag per Volksabstimmung abgesegnet werden muss. Die gestrige Zeremonie war also recht voreilig. Sie diente ja auch nur dem Zweck, dass das kleine Land an Europas Westzipfel mit einem "Lissaboner Vertrag" in die Geschichtsbücher eingeht.
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