EU-Referendum in Irland: Iren könnten die EU lahmlegen
Am Freitag stimmt Irland erneut über den Lissabon-Vertrag ab. Die irische Gemeinde in Brüssel hofft auf ein Ja. Aber das erwartet sie nur, wenn Politiker und Bürokraten stillhalten.
BRÜSSEL taz | Brüssels irische Meile liegt gleich neben dem vierflügeligen Kommissionsgebäude. Bei Kitty OSheas treffen sich nach Büroschluss alle, die den Aktenstaub mit einem Guinness runterspülen wollen. Seit ihrem Beitritt 1973 gelten die Iren als Mustereuropäer. Sie setzen Vorgaben aus Brüssel ordentlich um, haben den sechsmonatigen Vorsitz mehrfach gut über die Bühne gebracht und galten bis vor kurzem als Musterbeispiel dafür, wie ein Beitritt zur Europäischen Union die wirtschaftliche Entwicklung befeuert. Dass sie im Juni 2001 den Nizza-Vertrag mehrheitlich ablehnten, hat ihrem Ansehen bei den anderen Europäern nicht geschadet. Den Nizza-Vertrag mochte in Brüssel niemand.
Dieses Mal ist die Lage anders. Die EU hat nicht mehr die kuschelige Größe von 15 Mitgliedern, sondern ist auf einen unübersichtlichen Haufen von 27 Ländern angewachsen. Wer im Rat, in der Kommission oder im Parlament beruflich mit Gesetzgebung befasst ist, hat neun Jahre lang erleben können, dass der alte Vertrag den Problemen nicht gerecht wird. Klar ist auch, dass sich an dieser Lähmung auf Jahre hinaus nichts ändern wird, wenn die Iren ein zweites Mal nein sagen. Als Mustereuropäer werden sie spätestens seit der Finanzkrise nicht mehr gesehen. In Brüssel ist nicht vergessen, dass die Regierung zunächst ausschließlich irische Banken staatlich stützen wollte. Erst als die Wettbewerbskommissarin sehr nachdrücklich daran erinnerte, an welche Binnenmarktregeln sich EU-Mitglieder zu halten haben, wurde hastig nachgebessert.
Irlands verschrobener Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, der gern in unverständlichem Englisch sehr provinzielle Sätze von sich gibt, hat den Imageschaden noch vergrößert. Beim ersten Lissabon-Referendum erklärte er, der neue Vertrag sei zwar wichtig, aber unlesbar. "Ich glaube kaum, dass einfache und anständige Iren sich stundenlang hinsetzen, um das zu tun", erklärte er. Das glaubt zwar auch sonst niemand in Brüssel, doch wurde es als wenig geschickt gewertet, es öffentlich zu sagen. Dieses Mal erfreute McCreevy seine Kollegen mit der Erkenntnis, dass 95 Prozent der Mitgliedsstaaten den Vertrag ablehnen würden, wenn sie zunächst ihr Volk zu befragen hätten. Auch das ist inhaltlich richtig, kommt aber politisch zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
Am Freitag, dem 2. Oktober 2009, entscheiden die Iren zum zweiten Mal über Annahme oder Ablehnung des Lissabon-Vertrags. Irland war und ist in der EU das einzige Land, das ein Referendum über den Vertrag abgehalten hat. Bei der ersten Abstimmung im Juni 2008 war der Vertrag abgelehnt worden. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise hoffen die Befürworter nun auf ein geändertes Votum der Iren. Die EU hat Irland deshalb zugesagt, dass jedes Land einen Kommissarposten in Brüssel behalten kann. Doch jüngste Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit für ein Ja nicht als gesichert gelten kann. Bislang haben alle anderen 26 EU-Mitglieder dem Vertrag zugestimmt. In Polen und Tschechien fehlt noch die Unterschrift der Präsidenten. (gb)
Alle anderen Brüsseler Freunde des Lissabon-Vertrags haben aus damaligen Fehlern zu lernen versucht. "Die erste Kampagne war selbstzufrieden und gönnerhaft", kritisiert Jim Murray von der Initiative europeforireland. An deren Spitze steht der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Pat Cox. Er versucht die Bürgergesellschaft für ein Ja zu mobilisieren und die Politiker möglichst draußen zu halten. Denn sowohl die irische Regierung als auch die EU-Funktionäre würden der Sache mehr schaden als nützen.
Murray, der 18 Jahre lang den Europäischen Verbraucherverband in Brüssel vertrat und nun als freier Berater arbeitet, hofft auf ein knappes Ja am Freitag. Immerhin sei es gelungen, Gewerkschaften, Künstler und viele Unternehmer für das Referendum zu mobilisieren. Pat Cox hat neben seiner EU-Begeisterung ein ganz persönliches Motiv, am Freitag die Daumen zu drücken. Er möchte der nächste irische EU-Kommissar in Brüssel werden.
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