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EU-Politiker Stefan FüleDie Nachbarn fest im Blick

Es war falsch, die Potentaten Nordafrikas so lange zu hofieren, sagt Stefan Füle. Er setzt auf Menschenrechte und die Zivilgesellschaft und will die EU erweitern.

EU-Kommisar Füle: "Wir müssen uns fragen, wie wir die Erwartungen in Tunesien erfüllen können." Bild: dapd

BRÜSSEL taz | Stefan Füle, der EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, bereitet seine Verhandlungen minutiös vor. Jedes Symbol, jede Geste sind genau überlegt. In seinem Büro im EU-Kommissionsgebäude hängt ein großes Bild an der Wand, die dem Besuchersessel gegenüberliegt. Es zeigt eine Frau, die vor einem arabischen Schriftzeichen kniet. "Es bedeutet 'Mohammed'. Ich setze immer den türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu so hin, dass er darauf schaut", sagt Stefan Füle und lächelt.

Der tschechische EU-Kommissar lächelt gerne. Dieses Lächeln gibt seinen Worten etwas Verbindliches. Die EU wirkt plötzlich sympathisch, wenn man dem großen Mann aus Sokolov, einer Stadt nahe der deutsch-tschechischen Grenze, zuhört, etwa wenn er über den Umgang mit den Ländern Nordafrikas spricht. "Ich bin froh, dass wir als EU zugegeben haben, dass wir in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht haben. Dieser neue ehrliche Anfang war mir wichtig."

Füle ist einer der wenigen, die das in Brüssel so offen sagen; die offen kritisieren, dass die EU vor den Revolutionen in Ägypten, Libyen und Tunesien mit den Machthabern lukrative Geschäfte gemacht und sie als starke Bollwerke gegen den radikalen Islamismus gepriesen hat. Das soll jetzt anders werden. "Die Nachbarschaftspolitik ist zu einer Selbstreflexion geworden. Wir müssen uns fragen, was wir verändern müssen und wie wir die Erwartungen dieser Länder erfüllen können."

Bild: dapd
Stefan Füle

Der Kommissar: Stefan Füle, geb. 1962 in Sokolov, ist seit Februar 2010 EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik und Erweiterung. Zuvor war er Diplomat und Europaminister Tschechiens.

Das Ressort: Ziel der Nachbarschaftspolitik ist es, einen "Ring stabiler, befreundeter Staaten" um die EU herum zu etablieren. Zu den Staaten gehören Weißrussland, die Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Syrien, Libanon, Israel, die palästinensischen Gebiete, Jordanien, Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko. EU-Kandidatenstatus haben Kroatien, Mazedonien, Island und die Türkei.

Viele in Brüssel sind überzeugt, dass Füle das Zeug dazu hat, eine Politik aufzubauen, die sich mehr an den Menschenrechten orientiert als an Wirtschaftsinteressen. Der Kommissar hat richtige Fans, im Europäischen Parlament genauso wie unter den Nichtregierungsorganisationen. "Füle ist einer der wenigen in der EU-Kommission, die ihren Job gut machen. Er will tatsächlich etwas für die Menschenrechte bewegen", sagt Nicolas Beger von Amnesty International.

Keine Zwangsjacken aus Brüssel

Zum ersten Mal kooperiert die EU etwa in Tunesien nicht nur mit den staatlichen Behörden, sondern auch mit der Zivilgesellschaft. "Wir wollen diesen Ländern keine Zwangsjacken aus Brüssel verpassen. Es geht um eine Partnerschaft", sagt Füle. Er redet langsam. Manchmal werden die Zuhörer ungeduldig, so viel Emphase legt er in jeden Satz.

Große Schritte sind dennoch kaum zu erwarten. Füle muss nicht nur seine 26 Kollegen in der Kommission überzeugen, sondern auch die Mitgliedsstaaten, die in der Außenpolitik gern eigene Strategien verfolgen, je nachdem, welche Interessen sie haben. "Es ist ein ständiger Kampf mit den Mitgliedsstaaten. Die Revolutionen in Nordafrika haben uns erlaubt, unsere Werte und unsere Interessen auf eine Linie zu bringen. Aber dieser Moment wird auch wieder vorbeigehen. Dann ist wichtig, dass wir Interessen und Werte weiterhin in Harmonie belassen."

More for More, Less for Less

Bisher hat die EU in Nordafrika vor allem finanziell geholfen. 350 Millionen Euro hat sie 2011 für die Unterstützung des demokratischen Wandels bereitgestellt. In Tunesien gab es zusätzlich 20 Millionen Euro, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und die ärmsten Regionen des Landes zu unterstützen. Aber mehr soll es nur geben, wenn die Tunesier im Gegenzug Demokratie, Schutz der Menschenrechte und Schutz von Minderheiten liefern. "More for more. Less for less" - Mehr für mehr. Weniger für weniger - heißt dieser Grundsatz in den Papieren der Europäischen Kommission.

Was so einfach klingt, ist eine kleine Revolution. Erstmals soll nicht nur mehr Demokratie belohnt werden. Wenn Menschenrechte verletzt werden, soll das mit Entzug von finanzieller Unterstützung geahndet werden. "Das ist vor allem Füle zu verdanken. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton war von diesem Ansatz wesentlich weniger überzeugt", lobt die deutsche EU-Abgeordnete Ska Keller von Bündnis 90/Die Grünen. Der weißrussische Diktator Lukaschenko hat diese neue Linie bereits zu spüren bekommen. Zum EU-Gipfel für eine neue Östliche Partnerschaft Ende September 2011 wurde er gar nicht erst eingeladen.

Trotzdem ist Füle gegen den Abbruch aller Beziehungen zu Ländern, die von Diktatoren beherrscht werden. "Wir können nicht ein ganzes Land fallen lassen. Aber es ist schwierig, den richtigen Weg zu finden - in Weißrussland genauso wie in Syrien." Füle war, bevor er nach Brüssel gekommen ist, Europaminister seines Landes und hat zuvor unter anderem den Nato-Beitritt Tschechiens mitverhandelt. Noch immer pendelt er zwischen Prag und Brüssel, es sei denn, er ist auf einer seiner zahlreichen Reisen in den Nachbarländern unterwegs.

Nicht einmal die Brüsseler Restaurants kann er genießen

"Wenn ich Zeit habe, versuche ich, meine Kinder und meine Frau daran zu erinnern, dass sie einen Vater und einen Ehemann haben, und fliege nach Hause." Nicht einmal die Brüsseler Restaurants könne er genießen. "Wenn ich dort bin, geht es meistens um Verhandlungen. Dann ist es mir nur wichtig, dass sich meine Gesprächspartner wohl fühlen. Wie das Essen schmeckt oder wie die Dekoration aussieht, ist zweitrangig."

Dennoch hat der 49-Jährige seinen Humor nicht verloren. Zum Beginn des Gesprächs hatte er gescherzt: "Reden wir über das neue Raumfahrtprogramm der EU?" Und gleich selbst zu lachen angefangen. Gesprächspartner schätzen seine Unaufgeregtheit. "Wenn es um den Beitritt der Türkei geht, lässt Füle ideologische Fragen beiseite. Er konzentriert sich auf die Fakten. Das tut gut", sagt Ska Keller, die für die europäischen Grünen den Beitrittsprozess der Türkei begleitet.

Die Regierung in Tunesien hat eine demokratische Legitimation

Auch wenn Füle über die Zukunft der nordafrikanischen Länder spricht, ist er weit entfernt von populistischer Polemik: "Wir fürchten uns nicht vor einer Radikalisierung. Die Regierung in Tunesien hat eine demokratische Legitimation. Wir wollen Demokratie, aber es muss nicht exakt die sein, die wir bei uns haben. Es ist doch fantastisch, dass so viele Menschen gewählt haben."

Stefan Füle nimmt man diese Begeisterung ab - schließlich auch, weil er selbst einst für Freiheit in der Tschechoslowakei gestritten hat. Das helfe ihm auch bei Verhandlungen mit den Partnern im Süden und im Osten. "Es berührt mich, wenn ich auf den Straßen in Tunesien Menschen mit EU-Flaggen sehe, die zeigen wollen, dass sie die gleichen Rechte beanspruchen wie in unseren Ländern. Ich fühle mich oft an 1989 erinnert. Und meinen Partnern hilft es zu wissen, dass ich so einen Umbruch am eigenen Leib erfahren habe."

Die EU als globaler Akteur

Obwohl die EU totalitäre Regimes gestützt hat und immer noch eine restriktive Flüchtlingspolitik betreibt, habe die Gemeinschaft in den meisten Ländern einen guten Ruf, sagt Füle. Und den müsse man ausbauen. "Wir müssen mehr tun, wenn wir ein Global Player werden wollen. Wir können uns nicht hinter der OECD oder der UNO verstecken. Wir müssen eigene Positionen deutlich machen - egal ob es um den Nahost-Friedensprozess geht oder um Berg-Karabach im Kaukasus." Und fügt an: "Sonst werden wir nie ein glaubhafter Partner sein."

Stefan Füle glaubt an die Stärke der EU und daran, dass sie weiter wachsen muss, um stabil zu bleiben. "Erweiterungen sind zurzeit nicht sehr sexy. Aber sie sind unsere DNA. Wir brauchen sie zum Überleben. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker in den Mitgliedsstaaten fairer wären, wenn wir über die Gründe der Krise sprechen und sie nicht auf die Schwäche der EU-Institutionen oder ähnliches schieben."

Regelmäßig diskutiere er mit den EU-Staats- und Regierungschefs über die Beitrittsverhandlungen. Da sagt Füle plötzlich: "Wenn ich mir vorstelle, dass ein falsches Wort von mir in einem Land enorme Auswirkungen haben kann, dann zittern mir manchmal die Knie." Ihm nimmt man das ab.

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