EU-Parlament verabschiedet Abschiebe-Regelung: Regeln für Sklaven
Das Gesetz führt einheitliche Mindeststandards für die Abschiebung von Flüchtlingen ein. Abschiebehaft etwa wird zeitlich begrenzt. Linksfraktion und Grüne sind unzufrieden.
Mit dem Eifer eines Fernsehpredigers arbeitete sich der CSU-Abgeordnete Manfred Weber zu Wochenbeginn durch die Gänge und Säle des EU-Parlaments in Straßburg. Er kämpfte um eine Mehrheit für den zwischen Rat und Parlament ausgehandelten Kompromiss zur sogenannten Rückführungsrichtlinie.
Nur die EU-Kommission hat das Recht, europäische Gesetze zu initiieren. Nach dem Vertrag von Lissabon hätte auch das Europaparlament solche Vorschläge machen dürfen. Außerdem müsste die EU-Kommission tätig werden, wenn in einem Bürgerbegehren mindestens 1 Million Wähler eine Gesetzesinitiative fordern würde. Daneben hat die Kommission zahlreiche andere Werkzeuge, um die Diskussion über ein Gesetz zu beginnen. So zeigt das Weißbuch Grundzüge einer möglichen gesetzlichen Regelung auf. Die Mitteilung listet bereits mögliche Maßnahmen auf. Am Ende steht der Gesetzesvorschlag in Form einer Richtlinie, die in nationales Recht umgesetzt werden muss, oder in Form einer Verordnung, die sofort in allen Mitgliedsstaaten geltendes Recht ist. DPS
Dieses Rahmengesetz, das in Europa einheitliche Mindeststandards für die Abschiebung von Flüchtlingen bringen soll, wird von Linken und Flüchtlingsorganisationen abgelehnt. Auch die deutschen Sozialdemokraten stimmten zunächst dagegen. Am Mittwoch aber votierten sie gemeinsam mit Liberalen und Konservativen für das Gesetz, sodass die nötige einfache Mehrheit zustande kam.
Künftig dürfen Flüchtlinge ohne gültige Aufenthaltspapiere nur noch dann in Haft genommen werden, wenn realistische Aussicht besteht, sie auch tatsächlich abzuschieben. Abschiebehaft als Zermürbungstaktik, um einen Flüchtling zur "freiwilligen" Ausreise zu bewegen, ist verboten. Die Haftdauer soll im Regelfall 6 Monate betragen, eine Ausweitung auf 18 Monate muss begründet werden. Abschiebehäftlinge müssen getrennt von anderen Gefangenen untergebracht sein, Kindern muss der Schulunterricht ermöglicht werden. Mitgliedsstaaten dürfen ein Wiedereinreiseverbot von bis zu fünf Jahren verhängen, das dann für die gesamte EU gilt.
Wer Manfred Weber in den Tagen vor der Abstimmung auf technische Details des Gesetzes ansprach, bekam eine ähnlich flammende Verteidigungsrede zu hören wie Webers Parlamentskollegen im Plenum. "Warum sieht niemand, dass neun EU-Staaten überhaupt keine Begrenzung für die Haftdauer haben? Es geht hier nicht um Asylbewerber, es geht um Menschen, die sich illegal in der EU aufhalten!" Diese Menschen müsse man legalisieren oder abschieben. Die schätzungsweise 8 Millionen Illegalen in Europa lebten in einer "Sklavengesellschaft", würden ausgebeutet und ausgenützt. Außerdem gebe das neue Gesetz nur Mindeststandards vor. Die Regierungen hätten sich darauf verpflichtet, ihre nationalen Gesetze beizubehalten, wenn diese für Flüchtlinge günstiger sind.
Viele sozialistische Abgeordnete sowie die gesamte Linksfraktion und die Grünen ließen sich davon nicht überzeugen. Die grüne Abgeordnete Jean Lambert, die mit anderen Parlamentariern in den letzten Wochen Abschiebegefängnisse besucht hatte, sprach für viele: "Wir wissen, was lange Haftzeiten den Menschen antun, vor allem den Kindern. Wir haben die Bedingungen gesehen, unter denen viele Menschen leben. In meinem Wahlkreis lebt eine Irakerin, die im achten Monat schwanger ist. Ihr Mann wurde abgeschoben und ist seither verschwunden. Was wird aus dieser Frau, wenn ihr Mann fünf Jahre lang nicht in die EU zurückkehren darf?
Für Jean Lamberts britischen Wahlkreis ist das neue Gesetz aber ohnehin bedeutungslos, da Briten, Iren und Dänen eine Ausnahmeklausel haben. In Deutschland ändert sich nach Auskunft von Flüchtlingsorganisationen ebenfalls nicht viel. Sie hatten sich von der Richtlinie Verbesserungen im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage erhofft. Besondere Sorge bereitet es Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat, dass nun auch unbegleitete Kinder und Jugendliche abgeschoben werden können.
Derzeit werden Minderjährige unter 16 Jahren in den meisten Bundesländern nicht in Abschiebehaft gesteckt und ohne Begleitperson auch nicht ausgewiesen. So ist es etwa in Berlin und Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Die Praxis sieht allerdings oft anders aus, sagt Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, denn "man kann sich natürlich manchmal gut darüber streiten, ob ein Junge jetzt jünger oder älter ist als 16 Jahre". Oft würden Jugendliche aufgrund medizinischer Untersuchungen älter eingestuft, als sie selbst angegeben haben.
Thomas hält viele Formulierungen der Richtlinie für zu vage, etwa die, dass Häftlinge auf Anfrage "innerhalb angemessener Zeit" Kontakt zu einem Rechtsbeistand erhalten sollen. Schon jetzt sei es ein Problem für die Inhaftierten, überhaupt zu ihrem Recht zu kommen. Die Abschiebeverfahren seien gut eingespielt, Anträge auf Verlängerung der Abschiebehaft würden oft schnell durchgewunken.
"Unkonkret und interpretationsbedürftig" - so kritisieren die Flüchtlingsorganisationen die EU-Richtlinie. "Aus der Regelung zur Prozesskostenhilfe etwa kann man herauslesen, was man will", sagt Stefan Keßler. Er geht allerdings davon aus, dass in Deutschland wie bisher Prozesskosten auf Antrag erstattet werden, wenn das Verfahren Aussicht auf Erfolg hat.
Als Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation wertet Kessler lediglich, dass Flüchtlinge in getrennten Abschiebehaftanstalten untergebracht werden müssen. "Eine Unterbringung in einer Extraanstalt kann für die Inhaftierung Erleichterungen bringen. Sie müssen zum Beispiel ihr Handy nicht abgeben und können Besuch empfangen."
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