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EU-GipfelSie zeigte es den Pappkameraden

Die Kazcynskis, Blair, Balkenende: Wie Angela Merkel die Problemkandidaten wieder auf Verfassungskurs brachte

Durch die Blume zum Erfolg: Angela Merkel zeigte mal wieder Verhandlungsgeschick. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Angela Merkel hat es mal wieder geschafft. Zum vierten Mal verlässt die "mal zahme, mal wilde Löwin" (Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker) einen Gipfel als Siegerin: Nach der Einigung auf den EU-Haushalt 2005, nach EU-Klimaschutzplan und G-8-Vereinbarung rettete sie nun die EU-Verfassung - auch wenn diese nicht mehr so heißen darf. Dabei hatte die Kanzlerin zu Beginn ihrer Ratspräsidentschaft im Januar als Ziel lediglich einen "Zeitplan" für die Rettung und nicht die Rettung selbst ausgegeben. Und so waren es nicht wenige ausländische Journalisten, die während der nächtlichen Verhandlungen in Brüssel von ihren deutschen Kollegen wissen wollten: Wie macht sie das nur?

Eigentlich war die Situation gar nicht so kompliziert. Immerhin 18 von 27 EU-Staaten hatten die Verfassung zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft bereits ratifiziert, vier weitere waren dazu bereit, blieben fünf "Problemfälle". Als eher einfach galten die Tschechen. Zwar berauscht sich der neoliberal-nationale Staatspräsident Václav Klaus gern in philosophischer Kritik des vermeintlichen Superstaates EU. Doch eine Einladung auf Schloss Meseberg und ein langes Gespräch mit Exbundespräsident Roman Herzog und der Kanzlerin selbst über demokratische Mängel der EU verfehlten ihre beabsichtigte Wirkung nicht. Wirklich harte Forderungen stellten die Tschechen auch auf dem Gipfel nicht mehr. Nicht viel schwieriger waren die Niederländer: Premierminister Jan Peter Balkenende ging es nach dem gescheiterten Referendum in seinem Land vor allem darum, zu demonstrieren, dass der Nationalstaat auch in einer mit eigener Rechtspersönlichkeit versehenen EU nicht untergeht. Daher verschwanden EU-Symbole wie Hymne oder Flagge aus der Verfassung, und auch die nationalen Parlamente wurden gestärkt. Statt sechs haben sie nun acht Wochen Zeit, Einspruch gegen Gesetzesinitiativen der EU-Kommission zu erheben. Sie und auch Europaparlament und Rat müssen dann überprüfen, ob der Vorschlag mit dem Prinzip der Subsidiarität übereinstimmt.

Das dritte "Problemland" Frankreich war nach der Wahl von Nicolas Sarkozy zum Staatspräsidenten eigentlich keines mehr. Dem konservativen Pragmatiker ging es vor allem darum, eine neue Volksabstimmung zu vermeiden. Daher sprach er von einem "Mini-" oder einem "vereinfachten" Vertrag, bei dem es eben genüge, wenn das Parlament ihn ratifiziere. Tatsächlich aber führte die Entscheidung der deutschen EU-Juristen, den Verfassungsvertrag völlig auseinanderzunehmen und seine Bestandteile in die bereits existierenden Verträge von EU und EG einzugliedern, dazu, dass diese nicht einfacher, sondern noch unverständlicher werden. Als "unglaublich hässlich" bezeichnete ein Unterhändler den künftigen Text. Andererseits ist es auf diese Weise gelungen, die entscheidenden institutionellen Veränderungen der Verfassung zu erhalten. Einen Präsidenten des Europäischen Rates wird es ab 2009 ebenso geben wie einen Außenminister, auch wenn dieser nur "Hoher Repräsentant" heißen wird.

Dass der Gipfel dennoch erst am Samstagmorgen kurz vor fünf Uhr endete, hing vor allem mit der britischen Forderung zusammen, die Grundrechtecharta der EU nicht rechtlich verbindend werden zu lassen. Im Schlussdokument findet sich jetzt eine fast nur mit Fußnoten gefüllte Seite, die vereinfacht zusammengefasst Folgendes bedeutet: Während alle EU-Bürger ab 2009 ihre Grundrechte vor dem EuGH einklagen können, dürfen die Briten dies nicht.

Gleich viermal sprach Angela Merkel während des Gipfels mit Polens Staatspräsident Lech Kaczynski - mal allein, mal mit dem hyperdynamisch auftretenden Sarkozy oder mit dem von ihr als Vermittler eingesetzten litauischen Präsidenten Adamkus. Doch während Lech nach so viel Zusprache weich zu werden begann, blieb Bruder Jaroslaw in Warschau hart. Der Premier drohte erneut sein Veto an.

Am Freitagabend gegen 21 Uhr setzte die Ratspräsidentin daher scheinbar alles auf eine Karte: Merkel kündigte an, die Regierungskonferenz, die die Änderung der Verträge beschließen muss, auch ohne Zustimmung Polens einzuberufen. Tatsächlich aber machte sie nur, was ihr Artikel 48 des EU-Vertrags erlaubt. Ein Vetorecht gegen die Konferenz gibt es nicht, rein rechtlich gesehen können den 26 Regierungschefs die Forderungen der Kaczynskis egal sein. Politisch ist die Lage freilich eine andere. Während der grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber das Vorgehen der Kanzlerin als "großartig" bezeichnete, waren Tschechen und Litauer weniger begeistert: So könne man mit einem Mitgliedsland, zumal einem jungen, nicht umgehen.

Daher begann die Kompromisssuche erneut, statt Merkel verhandelten nun Juncker, Blair und Sarkozy. Erzielt wurde schließlich ein Ergebnis, das vielen als das schlechteste des ganzen Gipfels gilt. Der Abstimmungsmechanismus der "doppelten Mehrheit", bei dem 55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Bürger für eine Entscheidung notwendig sind, tritt ohne Einschränkungen erst 2017 in Kraft. Über den neuen EU-Haushalt wird 2013 somit noch einmal nach dem alten Nizzasystem entschieden, das dem Geldempfänger Polen fast so viele Stimmen einräumt wie dem Geber Deutschland. Die Kaczynskis können sich so in Warschau feiern lassen. Im Rest der EU werden es die Polen künftig nicht leicht haben: "Solidarität ist eine Zweibahnstraße", drohte Dänemarks Premier Rasmussen.

"Nie kannten wir unserer Grenzen besser", hatte ein hoher EU-Beamter schon vor dem Gipfel festgestellt. Und meinte damit: Ein noch demokratischerer Vertrag ist derzeit nicht möglich. Ähnlich sahen dies wohl auch die "18 Freunde der Verfassung" und hielten sich in Brüssel mit Forderungen weitgehend zurück. Ernüchtert bezeichnete Luxemburgs Premier Juncker das Ergebnis als "zufriedenstellend, mehr nicht". Und Estlands Ministerpräsident Ansip erklärte, warum man froh ist, das Thema Reform der EU nach mehr als fünfjähriger Diskussion endlich vom Tisch zu haben: "Wir haben keine Zeit mehr, um weiter über die Verfassung zu diskutieren. Wir müssen uns wieder um andere Probleme kümmern."

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