piwik no script img

EU-Gipfel in BrüsselMehrheit für Barroso gesucht

Noch haben die Regierungschefs den Präsidenten der EU-Kommission nicht formell zur Wiederwahl vorgeschlagen. Einig sind sie sich in der Sache trotzdem.

Bekam Rückendeckung: Kommissionspräsident Barroso. Bild: dpa

Das Wichtigste im politischen Geschäft sind bekanntlich die Pöstchen. Deshalb hatten die Staats- und Regierungschefs sich schon vorab geeinigt, dass jedes Mitgliedsland einen Kommissar in Brüssel behalten darf - wenn der Lissaboner Vertrag in Kraft treten sollte. Diese Garantie hatte sich die irische Regierung ausbedungen, bevor sie ein zweites Mal über den Lissabon-Vertrag abstimmen lässt. Doch auch den anderen Staatschefs kommt sie gelegen. Denn mehr lukrative Posten sind allemal besser als Bürokratieabbau.

Den weiteren "Anliegen der irischen Bevölkerung", die sich angeblich um die Unabhängigkeit der nationalen Steuerpolitik, um das Abtreibungsverbot und die traditionelle militärische Neutralität des Landes sorgt, wird in Form eines Protokolls Rechnung getragen. Dieses Protokoll soll bei nächstbester Gelegenheit von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet werden, zum Beispiel, wenn der Beitrittsvertrag mit Kroatien von den 27 Mitgliedstaaten ratifiziert wird.

In der Nacht zum Freitag hatte es zunächst so ausgesehen, als würde keine für Irland akzeptable Lösung gefunden. "Diskussionen zu irischen Garantien ohne jegliche Erörterung auf Freitag verschoben", teilte die deutsche Delegation lapidar per SMS mit. Immerhin waren alle anderen Konfliktpunkte zu diesem Zeitpunkt schon ausgeräumt.

So hatten sich die 27 überraschend problemlos darauf verständigt, Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsident vorzuschlagen. Bevor sie daraus einen formalen Beschluss machen, soll die scheidende tschechische und die danach kommende schwedische Ratspräsidentschaft dem neuen EU-Parlament den Puls fühlen. Nur wenn sich die neuen Fraktionsvorsitzenden bereit erklären, die Wahl bei ihrer ersten Sitzung Mitte Juli auf die Tagesordnung zu setzen und wenn eine Mehrheit für Barroso realistisch scheint, soll das Verfahren fortgesetzt werden.

Andernfalls muss Barroso sich bis Herbst gedulden. Dann ist hoffentlich der Lissabon-Vertrag in Kraft und die gesamte Kommission kann nach dem neuen Verfahren bestellt werden. Grüne und Sozialisten haben bereits deutlich gemacht, dass sie dafür sind. Andererseits versichern sowohl der spanische sozialistische Regierungschef Zapatero als auch sein portugiesischer Kollege Sokrates, die spanischen und portugiesischen Sozialisten im Europaparlament würden Barrosos Blitzwahl unterstützen. Auch der deutsche Außenminister und sozialdemokratische Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier trägt das Eilverfahren mit. "Angesichts der Krise können wir uns kein Machtvakuum leisten", erklärte er gestern.

Der Chef der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, will sich aber nicht drängen lassen. Seine Fraktion werde dagegen stimmen, dass die Wahl des Kommissionspräsidenten im Juli auf die Tagesordnung komme, sagte er gestern. "Wer stabile Verhältnisse an der Spitze der Kommission haben will, darf das jetzt nicht durchpeitschen." Daniel Cohn-Bendit, der zusammen mit Rebecca Harms die neue grüne Fraktion im EU-Parlament führen wird, hatte sich schon am Dienstag ähnlich geäußert.

Die Konservativen wollen Barroso dagegen im Juli wählen. Die Liberalen machen die Entscheidung davon abhängig, dass sie einen anderen wichtigen Posten bekommen, den Präsidenten des EU-Parlaments oder den im Lissabon-Vertrag neu vorgesehen Präsidenten des Europäischen Rats. Die zahllosen Fraktionslosen, Euroskeptiker und Neonationalisten im neuen Europaparlament aber sind eine völlig unbekannte Größe.

Beim zweiten großen Gipfelthema, der Regulierung des Finanzmarktes, geht die Ratserklärung nur wenig über das hinaus, was die Finanzminister bereits Anfang Juni beschlossen haben. Möglichst rasch soll die EU-Kommission Vorschläge ausarbeiten, wie die europäische Finanzaufsicht verstärkt werden kann. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass die Staatschefs beim Gipfel deutliche Taten fordern und später von den dazu nötigen Gesetzen nichts mehr wissen wollen. Deshalb möchten sie auch so gern Manuel Barroso als Kommissionspräsidenten behalten. Der macht solchen Eiertanz klaglos mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • B
    buckelwal

    Irland könnte z. B. einen gigantischen Beitrag zu einer gesamteuropäischen Energierevolution leisten, und dabei zugleich die Erwerbslosigkeit im eigenen Land auf beinahe Null! reduzieren. In Meer rund um Irland, in mehreren km Abstand zur Küste - sind mehr als 10.000 km² sehr gut geeignet für Windkraft-Bojen, etwa ungefähr des Typs der auf folgender Website zu sehen ist: http://www.ecogeek.org/content/view/1397/

     

    (Bei den 10.000 km² sind übrigens die Gewässer Nordirlands hierbei noch nicht mitgerechnet!)

     

    Sie könnten im Unterwasserteil mit Druckluftspeichern kombiniert werden, welche direkt überschüssige, im Grid gerade nicht benötigte Energie noch vor der Umwandlung in Elektrizität speichern und bei Bedarf erst in Strom umwandeln und einspeisen.

    Diese Windkraftbojen wären außerdem kombinierbar mit Wellenkraftbojen. Solche wie sie etwa Iberdrola oder SRI herstellen, wären dahingehend zu modifizieren.

     

    Nur ein F ü n f t e l der genannten Seefläche mit nur durchschnittlich einer 4 MW Anlage des genannten Typs je km² wären also mehr als 8.000 MW, mit viel höherer Auslastung als z. B. die zumeist aktuellen eher 'mittelmäßig' windstarken deutschen Standorte.

     

    Allein das kleine Irland könnte auf diese Weise also mehr als 7 europäische Atomreaktoren ersetzen, inklusive deren GAU Risiken und Müllakkumulation.

     

    p.s. thanks to BernieWa for some tips!:o)

  • RS
    R. Senger

    *Meld* *schnipp* *schnipp*

    Ich will auch Sonderzugestaendnisse!

    Wo muss ich meinen Wunschzettel hinschicken?

     

    Sagt mal, wo sind wir hier eigentlich?

  • A
    Achim

    No Means No!

     

    Es ist eine absolute Frechheit und Unverschämtheit gegenüber dem irischen Volk, dass es überhaupt zu einem zweiten Referendum kommen soll.

     

    Das Ermächtigungsgesetz der EU-Elite wurde abgelehnt. Auch in Deutschland ist es nicht ratifiziert. Ich hoffe hier weiterhin auf Karlsruhe.