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Archiv-Artikel

EU-DIENSTLEISTUNGSRICHTLINIE: NEOLIBERALER DURCHMARSCH GESTOPPT Mehr Integration, weniger Angst

Es war der Schrecken vieler Westeuropäer: Pfleger, Ärzte oder Handwerker aus Osteuropa sollten ihre Arbeit zu Billigkonditionen überall in der EU anbieten können. Wie bei den traditionellen Handelswaren sollte auch bei den Dienstleistungen nur noch der Preis zählen. So wollte es ursprünglich die EU-Kommission. Aber so wollte es nicht das europäische Volk: Die geplante Dienstleistungsrichtlinie war für die Franzosen ein wesentlicher Grund, gegen die EU-Verfassung zu stimmen.

Dieses fulminante Nein jährte sich am Montag zum ersten Mal. Und ausgerechnet an diesem Veto-Jahrestag beschloss der EU-Ministerrat, die Dienstleistungsrichtlinie stark zu entschärfen. Der 29. Mai steht damit für eine Wende. Die Anhänger der sozialen Marktwirtschaft haben sich gegen die Wirtschaftsliberalen durchgesetzt. Erstmals seit langer Zeit. Dieser Sieg kündigte sich schon im Februar an, als das EU-Parlament gegen die Dienstleistungsrichtlinie revoltierte.

Noch steht der konkrete Text der neuen Richtlinie aus. Theoretisch könnte es also sein, dass die EU-Staaten im Kleingedruckten doch noch unterbringen, dass die meisten Dienstleistungen zu Billigstpreisen angeboten werden können. Aber wahrscheinlich ist solch heimliche Raffinesse nicht. Denn die EU-Regierungen wissen sehr genau, dass diese Trickserei im EU-Parlament sehr bald auffallen würde.

Trotzdem freut der Sieg der Sozialpolitiker nicht wirklich, denn die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie wurde sehr stark auch von nationalen Untertönen geprägt. Daraus entstanden seltsame Widersprüche. So gilt es als empörend, wenn heimische Handwerker durch polnische Konkurrenten unter Preisdruck geraten. Gleichzeitig aber wogt die Diskussion, ob nicht deutsche Arbeitslose zu Niedrigstlöhnen arbeiten sollten. Auch unter dieser Billigkonkurrenz leiden die Handwerker.

Die neue Richtlinie ist ein Kompromiss zwischen den Integrationswünschen der Osteuropäer und den berechtigten Ängsten der Westeuropäer. Das ist in Ordnung. Faires Austarieren gehört zu einem sozialen Europa. ULRIKE HERRMANN