: ES WAR EINE SCHÖNE ZEIT
■ Ein Film- und Archivprojekt zum Kulturbund Deutscher Juden (1933-1941)
„Ich wollte Schauspielerin sein, alles andere interessierte mich nicht“ - oder: „Es war ein teuflischer Plan der Nazis“
-oder auch: „Wir hielten die Fackel hoch für etwas“. Die Rede ist vom Kulturbund deutscher Juden, der im Sommer 1933 als Reaktion auf die Rassegesetze von dem Arzt und Musiker Kurt Singer gegründet worden war. In dem Dokumentarfilm Es waren wirklich Sternstunden von Henryk M. Broder und Eike Geisel äußern sich eine Reihe von inzwischen betagten Künstlern durchaus unterschiedlich über ihre damalige Arbeit beim Kulturbund.
Folgendes Bild entsteht: Mit seinem Theater in der Kommandantenstraße 57, einer Operngruppe, dem Sinfonieorchester, mit seinem Verlag und einer eigenen Schallplattenproduktion verschaffte der Kulturbund über 2.000 jüdischen Künstlern, die infolge des „Berufsbeamtentumsgesetzes“ von 1933 arbeitslos geworden waren, Auftrittsmöglichkeiten. Zum anderen gab er seinen 69.000 Mitgliedern die Möglichkeit, wenigstens in beschränktem Rahmen am Kulturleben teilzunehmen: „Der Bund war eine Oase“, erinnert sich jemand. Und: „Die Menschen wollten ja sowieso noch bleiben. Der Kulturbund gab ihnen das Gefühl des Beisammenseins.“
Im Parkett saß aber keineswegs nur das jüdische Abonnentenpublikum. Staatskommissar Hinkel, der als Mitglied der Reichskulturkammer für den Bund zuständig war, ließ für sich und seine Konsorten immer wieder Karten reservieren. Die Gestapo habe sich danach gerissen, erzählt der Schauspieler Ernst Lennart, „weil wir auch die ersten Kräfte aus dem ganzen Reich hatten“.
Nicht nur das: Das Programm des Kulturbundes war im buchstäblichen Sinne einzigartig, weil nichts „Arisch -deutsches“ aufgeführt werden durfte: Zwar gab es Händel, aber nur mit englischem Text, Schumann, wenn er Heine vertont, der Österreicher Mozart durfte gerade noch bis zum „Anschluß“ gespielt werden, Mendelssohn und Mahler, Offenbach und Schönberg waren noch bis ins Jahr 1941 zu hören. Den Erzählungen zufolge hätte es die NS-Behörde gern gesehen, wenn sich im Programm des Kulturbundes jiddische Folklore mehr durchgesetzt hätte; allein, gegen derartige Folklore hatten die deutschen Juden Vorbehalte, weil „sie aus dem Osten“ kam.
Daß der Kulturbund von den Nazis geduldet, sogar gefördert wurde, hat vermutlich verschiedene Gründe: Zum einen wollten sie, daß „die Juden aufhörten, sich um die deutsche Kultur zu bemühen“, weshalb der Kulturbund deutscher Juden im Jahr 1935 auch in „Jüdischer Kulturbund“ umbenannt werden mußte deutsche Juden sollte es ja gerade nicht mehr geben. Zum anderen konnte Staatskommissar Hinkel durch den Kulturbund die Aktivitäten der jüdischen Künstler in inhaltlicher wie in organisatorischer Hinsicht kontrollieren, da alle Konzertreisen im In- und Ausland, wie überhaupt jede einzelne Veranstaltung, genehmigungspflichtig waren. Auf diese Weise kam es zu einer geradezu gespenstischen Zusammenarbeit zwischen Juden und Nazis. Von Hinkel wird beispielsweise erzählt, daß er den Gründer der Organisation, Dr. Kurt Singer, sehr respektiert haben soll.
Singer selbst verband mit seiner Organisation große Hoffnungen: „Die Finsternis des tatenlosen Dahindämmerns sollte durch den Blitzstrahl der Leidenschaft erhellt und gewärmt werden“, schrieb er im Allmanach 1934/35, Kulturbund deutscher Juden. Diejenigen Künstler, die emigrieren wollten, beschuldigte er des Verrats am Bund, für eine lange Zeit war er davon überzeugt, heißt es, daß „wir das jüdische Staatstheater werden“ können. - Kurt Singer starb 1943 im KZ Theresienstadt.
Beeindruckend an dem Film von Broder und Geisel, in dem unter anderen die Schauspieler Ernst Lennart, Steffi Ronau, Camilla Spira, Martin Brandt und die Sängerin Paula Lindberg -Salomon zu Wort kommen, ist nicht zuletzt die Divergenz der verschiedenen Einschätzungen des Kulturbundes: „Das war das Fenster zur Welt, das war die Tür ins Freie.“ - „In gewisser Weise war es eine schöne Zeit. Sie hat uns viel gegeben.“ Dagegen stehen dann Meinungen wie die von Julius Bab, der glaubte, es war ein „Gettounternehmen„; ein anderer sagt: „Es war eine einzige Lüge, ein Bluff fürs Ausland.“
Ich glaube, daß gerade dieser letzte Aspekt, die Funktion, die der Bund für die NS-Behörden hatte, bislang noch nicht genügend geklärt ist. Auch in dem Film kommt dieser Punkt entschieden zu kurz; nur einmal, eher nebenbei, wird erwähnt, daß ein Mitglied des Kulturbundes beauftragt worden war, „zu registrieren, wer abgeholt werden sollte“.
Deutlicher und als Konflikt ausgesprochen wird diese erzwungene Kollaboration erst, wo das Moment der kulturellen Selbstbehauptung völlig wegfällt: Im KZ-Theater habe sie, erzählt Camilla Spira, das Weiße Rößl für Häftlinge und Bewacher spielen müssen: „Die Leute haben so gelacht, da waren Lachsalven und Begeisterung. Die Leute haben in dem Augenblick alles vergessen. Und das war grauenvoll.“
Der Musiker Henry Meyer hat im Lager Birkenau Marschmusik intonieren müssen. Aber „die SS war auch ganz närrisch nach Gesängen und amerikanischen 'tones'“. Anderen, die noch rechtzeitig flüchten konnten, wurden wegen ihres Akzentes von der US-Filmproduktion oft die Rollen der Deutschen angeboten. Martin Brandt erwähnt zum Beispiel einen Kollegen, der „so oft als Nazi eingesetzt wurde, daß sein Gesicht in Hollywood bald verbraucht war“.
Der Film wurde am letzten Dienstag im Rahmen einer Pressevorführung in der Akademie der Künste gezeigt. Der Direktor des Archivs, Wolfgang Trautwein, will mit Hilfe der beiden Filmautoren eine umfangreiche Recherche und Materialsammlung zum Kulturbund deutscher Juden durchführen. Ein Finanzierungsantrag zu den noch fehlenden 257.000 Mark, den die Akademie der Künste mit Hassemers Segen an die Lotto -Stiftung gerichtet hatte, wurde ohne Begründung abgelehnt. Dabei drängt die Zeit. Denn diese letzten Zeugen einer deutsch-jüdischen Identität werden nicht mehr lange leben.
Insa Eschebach
Der Film von Henryk M. Broder und Eike Geisel Es waren wirklich Sternstunden. Der Kulturbund Deutscher Juden 1933 -1941 wird am Donnerstag, den 10.November um 19 Uhr bei Einsplus gezeigt und am Dienstag, den 29.November um 22.30 Uhr in NordIII.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen