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Archiv-Artikel

ERST RAUS AUFS DORF GEZOGEN, DANN ZURÜCK IN DIE STADT, WO SICH NUN IN DER GELIEBTEN HACKERBASE ALLE STREITEN Heimat Internet

JULIA SEELIGER

Während ich diesen Text schreibe, ist mein Freund bei einer anderen Frau. So fing vor einigen Jahren ein taz-Debattentext an, die Themen waren Polyamorie, Wohnen und Internet. In dem Text damals wünschte ich mir, dass mehr Leute anders als in der „bürgerlichen Kleinfamilie“ lebten. Ich stellte Fragen nach Familie und nach Heimat. Heimat Internet?

„Im Blick zurück entstehn die Dinge / im Blick nach vorn entsteht das Glück“, singen Tocotronic. Ich zerstörte mein eigenes Lebensmodell, und mein eigenes Lebensmodell zerstörte sich selbst. Im Sommer noch lebte ich in Berlin in einer WG, die mir viel wert war. Wie das Internet auch sie eine Heimat, eine Familie.

Auf dem Dorf, wo ich vor vier Wochen wohnte, habe ich es nicht aushalten können. Ich ging hin und her und bin weit gekommen. Jetzt lebe ich zum ersten Mal im Osten Berlins. Von meinem Balkon aus habe ich einen Blick hoch über die Dächer auf den Fernsehturm, in der anderen Richtung die Plattenbauten. Kästen mit nachts leuchtenden Fenstern.

Während meiner kurzen Abwesenheit ist in der Stadt viel passiert. In meinem einstmals geliebten Hackerspace c-base zerlegt sich alles beim Streit über eine Toilettentür mit Mangamädchenbild. Das Bild ist sehr hässlich. Es zeigt eine Frau mit entblößten Brüsten, die erschreckt schaut. Welche, die sich für feministisch halten, haben das Bild überklebt. Nun tobt eine Debatte. Die einen sagen, das sei „rape culture“, die anderen halten die Kunstfreiheit hoch. Man beschimpft sich als Talib und als Befürworter von Vergewaltigung.

Wir Internetfreunde aus dem Internetchannel no drama überlegen, in der c-base einen Workshop „Sexuelle Beziehungen in Fantasie und Praxis – Vergewaltigung, eine Übung“ anzubieten. Denn es gibt durchaus Anlass, auf die feministisch-talibaneske Einschränkung der Kunstfreiheit hinzuweisen. Und noch mehr gibt es Anlass, auf die Denkweise derjenigen hinzuweisen, die überall eine „rape culture“ wittern. Eine letztlich vergewaltigungsrelativierende Denkweise, denn Vergewaltigung ist in den wenigsten Fällen „nachts auf der Straße, Holz auf den Kopf, hinter den Baum zerren“. Die dummen Mädchenfeministinnen, die immer so laut „rape culture“ schreien, sollen sich mal bilden. Vergewaltigung findet meist im Nahumfeld statt. Bei Vergewaltigung ist so viel unscharf. Was denken sich wohl Opfer, wenn sie sehen, wie der Begriff „rape“ als scharfer politischer Kampfbegriff verwendet wird?

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei Freitag Jürn Kruse Fernsehen Montag Kübra Gümüsay Das Tuch Dienstag Deniz Yücel Besser

Vielleicht geht die Diskussion um die c-base-Klotür ja noch etwas weiter, bis zum Kongress des Chaos Computer Clubs. Dann werden wir von no drama eine Vergewaltigungssession anbieten. Bildungsarbeit für Internetfeministinnen und Hacker.

Internetfreunde sind wahre Freunde. Im Blick zurück entstehn die Dinge / Die Echokammer lenkt unser Geschick. Auch zu dem Ostberliner Zimmer verhalfen mir die Freunde aus no drama. Noch ein paar Tage kann ich hier in der schönen Gegend bleiben, dann muss ich schon wieder weiterziehen. Wohin auch immer. Heimat Internet.