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EM-Qualifikation Nach dem 1:0-Sieg über Deutschland hat Irland die Chance, sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Und guten Grund zum Freuen hat es auchIrischer Befreiungskampf

An so was kannste Ire werden: Torschütze Shane Long lässt sich feiern Foto: Morrison/ap

aus Dublin Ralf SotscheCk

Unbelievable!“ Das war das meistgesprochene Wort in Irland am Donnerstagabend. Eine stark ersatzgeschwächte irische Mannschaft hatte gegen Deutschland, das mit acht Weltmeistern angetreten war, das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft im nächsten Jahr in Frankreich gewonnen. Unglaublich! Dafür reichte den Iren eine einzige Chance im Dubliner Aviva-Stadion. Deutschland, spielerisch über­legen, hatte deren viele, versiebte sie jedoch allesamt.

Thomas Müller zeigte sich als schlechter Verlierer. „Irland hat nur verteidigt und lange Bälle gespielt“, sagte er nach dem Spiel. „Wir hatten ordentliche Möglichkeiten und nichts zugelassen. In der Summe haben wir zu viele Chancen ausgelassen und ein unnötiges Tor nach einem Fehler kassiert, gepaart mit viel Schauspielerei und einem schwachen Schiedsrichter. Auch wenn es sich blöd anhört: Wir haben kein schlechtes Spiel gemacht.“

Was meinte er mit Schauspielerei? Manuel Neuers theatralische Einlage nach einem kleinen Rempler, wofür er danach bei jeder Ballberührung ausgepfiffen wurde? Und bei Schiedsrichter Carlos Velasco die Schuld zu suchen ist billig. Der Spanier hat das Spiel ordentlich geleitet. Vielleicht ließ sich Müller aus Frust über seine kläglich vergebene Riesenchance in der 78. Minute zu seinen Äußerungen hinreißen.

Die Iren hatten nicht nur in dieser Szene Glück, aber sie verteidigten auch geschickt, obwohl die Viererkette in dieser Formation noch nie ­zusammengespielt hatte. Durch Verletzungen und Sperren hatte sich die ohnehin geringe Auswahl an Spielern für Trainer Martin O’Neill drastisch reduziert. So herrschte unter den irischen Fans grenzenloser Pessimismus. Für die meisten stellte sich lediglich die Frage nach der Höhe der Niederlage.

Der Weg zur EM

So sieht’s aus:Im letzten EM-Qualifikationsspiel am Sonntag in Leipzig (20.45 Uhr, RTL) reicht der DFB-Auswahl gegen Georgien ein Remis, um bei der Endrunde 2016 in Frankreich dabei zu sein. Eine Niederlage reicht, wenn es in der Parallelpartie zwischen Polen und Irland einen Sieger gibt. Geht dieses Spiel unentschieden aus und Deutschland verliert, warten die Play-off-Spiele im November.

So sind die Chancen:Die bisherige Bilanz gegen Georgien: vier Spiele, vier Siege. Auf dem Weg zur EM 1996 gab es ein 2:0 und ein 4:1. Ein Test im Oktober 2007 endete 2:0. Beim Hinspiel in der laufenden EM-Quali trafen im März in Tiflis Marco Reus und Thomas Müller zum 2:0.

Das sagt Georgiens Trainer Kachaber Zchadadse:„Es ist für uns eine Ehre und Luxus, gegen die beste Mannschaft der Welt zu spielen, weil uns diese Erfahrung weiterbringt und uns in der nächsten Qualifikation hilft. Mein langfristiges Ziel ist es, dass Georgien bei der EM 2020 dabei ist.“

So dachte auch Bundestrainer Joachim Löw. In der Pressekonferenz vor dem Spiel hatte er mit der Arroganz des Weltmeisters über den Kader sinniert, den er nächstes Jahr zur Europameisterschaft mitzunehmen gedenke. Das bevorstehende Spiel gegen Irland schien ihm kaum erwähnenswert. Nach dem Spiel sprach er von einer der „unnötigsten Niederlagen der letzten Jahre“. Irland habe hundert lange Bälle gespielt. „99 Mal haben wir es richtig gemacht, und ein Mal nicht“, sagte Löw.

Das stimmte keineswegs, die Iren haben überraschend oft auch Kurzpässe gespielt. Das hat ihnen ihr Trainer Martin O’Neill beigebracht. Unter Giovanni Trapattoni durften sie das nicht, denn er hielt seine Spieler für zu schlecht.

Beide Torhüter hatten in der ersten Halbzeit so gut wie nichts zu tun. Für Shay Given war das Spiel kurz vor der Pause beendet, er hatte sich das Knie verdreht. Als ob das für die irischen Fans nicht schlimm genug gewesen wäre, folterte man das Publikum in der Pause mit einer ohrenbetäubenden Darbietung von „Come On Ye Boys in Green“, die nahtlos in „Dearg Doom“ der Dubliner Band Horslips überging.

„Doom“, also Untergang, fürchteten die Zuschauer auch nach dem Wiederanpfiff, doch es kam anders. Darren Randolph, der Ersatztorwart von West Ham United, kam durch Givens Verletzung zu seinem ersten Einsatz in einem Pflichtspiel – und zu seinem ersten ­Scorer-Punkt. Sein weiter Abschlag in der 70. Minute erreichte Shane Long, der erst 5 Minuten zuvor eingewechselt worden war. Long ließ Jérôme Boateng stehen und haute den Ball an Neuer vorbei ins Netz.

Vor dem Spiel hatte Löw mit der Arroganz des Weltmeisters sinniert, wen er zur EM mitnehmen will

Schnelligkeit ist Longs Stärke, deshalb kommt er auch bei seinem Verein Southampton meist erst nach einer Stunde zum Einsatz, wenn die Verteidiger nicht mehr ganz frisch sind.

„Man möchte glauben, dass wir es nun verdient hätten, Europameister zu werden“, meinte O’Neill. „Aber wir haben uns ja noch nicht einmal qualifiziert.“ Das könnte am Sonntag gelingen, da wird es noch einmal spannend. Die Schotten sind allerdings durch Lewandowskis spätes Ausgleichstor für Polen aus dem Rennen. Eine Minute zuvor war ein junger Fan aufs Spielfeld gestürmt und hatte ein Selfie von sich und Lewandowski gemacht.

Den Iren reicht am Sonntag ein torreiches Unentschieden in Warschau, mindestens ein 2:2. Sollte Deutschland gleichzeitig gegen Georgien verlieren, müsste Löws Team als Gruppendritter im Play-off nachsitzen. Unbelievable!

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