EM-Gastgeber Schweiz ist ausgeschieden: Das Fest wird weitergehen
Tränen? Erschütterung? Nein! Die Schweizer nehmen das Ausscheiden nach der Niederlage gegen die Türkei mit großer Gelassenheit und Neutralität.
Zwei Stunden nach Spielschluss war die Welt für die Schweiz schon wieder in Ordnung. In der Straßenbahn, die ihren Weg vom St.-Jakob-Park zum Hauptbahnhof rumpelte, lieferten sich die Fans aus dem EM-Gastgeberland und der Türkei einen fröhlichen Sängerstreit. "Was solls", rief der junge Mann mit dem rot-weiß bemalten Gesicht, "ist doch nur Fußball. Dafür haben wir all die Banken."
Wer nach dem 1:2 gegen die Türken auf der Suche nach dramatischen Bildern von vor Verzweifelung hemmungslos schluchzenden Menschen war, wurde enttäuscht. Fußball ist und bleibt für die Schweizer ein rein sportlich besetztes Vergnügen, zum großen Theater mit epischer Inszenierung taugen die Eidgenossen nicht. Der Schweizer pflegt zu viel Distanz zum Geschehen, um sich von solchen Emotionen mitreißen zu lassen. "Das Fest wird weitergehen", verkündete der scheidende Nationaltrainer "Köbi" Kuhn nach dem Spiel: "Die Schweiz ist ein multikulturelles Land. Hier gibt es genügend Franzosen, Deutsche, Portugiesen oder andere Nationen, die werden kräftig feiern." Begeisterung? Gern, aber bitte nicht solch einem Tamtam, als hinge Wohl und Wehe einer ganzen Nation von Fußball ab.
Dabei barg das Vorrundenspiel der Gruppe A mehr als genug dramatische Szenen, um es noch lange nachwirken zu lassen. Es war eine spektakuläre Show. Kurz nach Spielbeginn verdunkelte sich der Himmel über Basel und schüttete kübelweise Wasser über den Rasen des St.-Jakob-Parks. Die Seenplatte schien ein ideales Terrain, um Helden zu gebären, die sich weder von Naturgewalten noch von sonstigen Widrigkeiten davon abhalten lassen, ihr Land zum Sieg zu tragen. Tatsächlich bewährten sich die Schweizer bei grenzwertigen Bedingungen zunächst wesentlich besser als die Türken, deren gepflegter Flachpass im Basler Regenwasser stecken blieb. "Ich habe gebetet, dass es aufhört, zu regnen", gestand der türkische Nationaltrainer Fatih Terim. Er war klatschnass, sein weit geöffnetes weißes Hemd klebte am Körper. War es Regenwasser? Oder Schweiß? Es war wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Terims Flehen wurde erhört. Als die Sintflut abflaute und das Wasser nach unten sickerte, kamen die Türken und erzwangen den Sieg. Dass dem überragenden Arda Turan der entscheidende Treffer in der dritten Minute der Nachspielzeit mit einem abgefälschten Schuss gelang, passte zur Dramaturgie eines denkwürdigen Abends.
Nach dem Abpfiff stand "Köbi" Kuhn wie paralysiert am Spielfeldrand und bekam kaum mit, dass Terim auf ihn zukam und ihm die Hand reichte. Die Enttäuschung sei riesig, sagte der 64-Jährige später, "aber ich kann niemandem einen Vorwurf machen. Die Mannschaft hat alles gegeben und zweimal unglücklich verloren. Gegen die Türkei haben wir es versäumt, das 2:0 zu machen. Das war ungenügend."
Trotz dieses Makels wird diese Begegnung in Erinnerung bleiben als ein leidenschaftliches Kampfspiel. Auf dem Rasen und ohne die hässlichen Jagdszenen, die vor zweieinhalb Jahren nach dem WM-Relegationsspiel zwischen beiden Nationen europaweit für Empörung gesorgt hatten. Die "Schandnacht von Istanbul", wie die Schweizer jenes traumatische Erlebnis nennen, ist damit verarbeitet. Beide Lager gaben sich viel Mühe, sich politisch korrekt zu verhalten, bei den Nationalhymnen waren keine Pfiffe zu hören. "Diese Geschichte spielt jetzt keine Rolle mehr", sagte Hamit Altintop. Der Bayern-Profi beschäftigte sich lieber mit der Gegenwart: "Egal gegen wen - wir müssen weiter mit Einsatz und Leidenschaft spielen. Vom Auftreten und vom Willen her war unsere zweite Halbzeit wirklich stark."
Wenige Meter weiter referierte Ludovic Magnin, der die Schweiz nach dem Ausfall von Alexander Frei als Kapitän aufs Spielfeld geführt hatte, über die Auswirkungen auf die Befindlichkeiten im Land des Gastgebers. Viel werde sich nun nicht verändern, glaubt der Profi des VfB Stuttgart, "die Stimmung war ja schon nicht so geil, als wir noch drin waren". Magnin weiß genau, dass seine Landsleute nicht zu unkontrollierten Euphorieattacken neigen und das EM-Spektakel stattdessen lieber mit der ihnen eigenen Zurückhaltung verfolgen. Ab sofort kann die Schweiz die Europameisterschaft mit der Haltung beobachten, die sie traditionell am besten beherrscht: neutral.
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