EINSPRUCH: DIE BLOCKADE DER CASTOR-TRANSPORTE IST SINNVOLL: Müll als Waffe
Wer den anstehenden Castor-Transport von La Hague nach Gorleben befürwortet, argumentiert mit Scheuklappen (so Klaus-Peter Klingelschmitt vor zwei Tagen in der taz). Gebetsmühlenhaft wird wiederholt, dass „deutscher“ Nuklearmüll nicht an Frankreichs Atlantikküste bleiben darf. Solange man von der aktuellen politischen Situtation abstrahiert, ist diese Forderung „an sich“ nicht falsch. Sie basiert auf der verbreiteten Überzeugung, dass der schon produzierte Atommüll ja selbst bei sofortigem Atomausstieg irgendwo lagern müsse – und dass es nicht angehen kann, den eigenen Schrott ins Ausland zu exportieren.
Aber so einfach lässt sich die derzeitige politische Situation nicht ausblenden. Fakt ist: Der Atomausstieg ist nicht absehbar, auch wenn sich mancher Grüne bemüht, den Weiterbetrieb der Reaktoren bis zum technischen Ende ihrer Laufzeit als „Ausstieg“ zu deklarieren. Es geht also aktuell nicht darum, wie mit dem vorhandenen Atommüll und seiner Endlagerung umzugehen ist. Sondern umgekehrt, wie er sich zukünftig vermeiden lässt. Das Müllproblem muss genutzt werden, um dem Ausstieg näher zu kommen. Die Lagerkapazitäten für Strahlenmüll an den AKWs sind nämlich voll – und damit die Meiler vom Stillstand bedroht. Entsprechend groß war die Freude beim Deutschen Atomforum, als sich Frankreich und Deutschland jetzt einigten, den europäischen Strahlenmüll-Tourismus wieder aufzunehmen. Auch Trittins vehementer Einsatz für den Gorleben-Transport wird überschwänglich gelobt. Denn wenn dieser eine Atommüllzug in Deutschland angekommen ist, dürfen wieder hunderte nach La Hague rollen.
Genau aus diesem Grund beteiligt sich erstmals auch die französische AKW-GegnerInnen an den Protesten. Weil sie wissen: Wenn dieser so hochmoralische Rücktransport in die Bundesrepublik durchgeführt wird, lagert am Ende des Jahres deutlich mehr „deutscher“ Atommüll in La Hague. Die effektivste Vermeidungsstrategie ist daher die Blockade des Castor-Zuges ins Wendland.
Im Übrigen ist auch Gorleben ungeeignet, um den gefährlichen Müll zu lagern. Die Castoren landen in einer offenen Halle, gekühlt mit der Atemluft der AnwohnerInnen. Niemand wird sich jedoch noch ernsthaft um einen besseren Standort bemühen, wenn das strahlende Zeug erst einmal im Wald bei Gorleben liegt. Schließlich wurden schon Milliarden in das ungeeignete Bergwerk investiert. Jeder weitere Transport ins Wendland wird dazu führen, dass eine ergebnisoffene Debatte über ein Atommüll-Endlager immer unwahrscheinlicher wird. Auch dies ein Grund, warum sich viele wieder quer stellen werden. JOCHEN STAY
Atomkritischer Publizist aus dem Wendland
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