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Archiv-Artikel

EIN BERLINER AUF GOA (1) Winter zu Haus

Der Pole ist komplett anderer Meinung

Haiti? Die anderen Touristen sehen mich etwas erstaunt an, als ich das Gesprächsthema auf die Erdbebenkatastrophe am anderen Ende der Welt lenke. Erdbeben hin oder her, ihr Topthema ist ganz klar der Schnee in Deutschland, schließlich sitzen wir bei 40 Grad in Indien, und die Kälte erscheint geradezu verlockend nach mehren Wochen der semiprofessionellen Braterei in der Sonne. Tiefster Winter also, ja? Ja ja, tatsächlich. Meterhoch.

Während Deutschland also die Tage ohne Sonne zählt, wünschen wir uns an einem einzigen Tag auch nur eine Wolke am Firmament zu entdecken, und man fragt sich, warum man immer das haben will, was gerade nicht verfügbar scheint oder weit entfernt ist.

Am Nachbartisch versuchen zwei in die Jahre gekommene Deutsche mit Dreadlocks einen Polen in ein Gespräch zu verwickeln, indem sie ihm von ihren sentimentalen Erfahrungen mit „Oleg und Bollek“ berichten. Der nach zu viel Fitnessstudio aussehende Pole korrigiert: erstens würden die Figuren „Lollek und Bollek“ heißen und außerdem, erklärt er, wurde er in seiner Kindheit mit dieser Fernsehserie gequält und schaue nun lieber die Simpsons. Überhaupt, Bart Simpson sei sowieso die beste Comicfigur. Das können die beiden Deutschen nun nicht verstehen, die Simpsons seien doch „etwas sehr Mainstream“, Oleg und Bolek wiederum seien doch geradezu anarchistisch veranlagt.

Der Pole ist da komplett anderer Meinung, die beiden Figuren seien nur Überreste einer veralteten, starren Ära. Schweigen tritt ein, über den Schnee in Deutschland wird man mit dem Polen wohl nicht reden können. Problematische Völkerverständigung im TV-Zeitalter nennt man so etwas wohl. Ein Wölkchen erbarmt sich, für einige Minuten vor der Sonne zu verweilen. Dann werden wir wieder unserem Schicksal überlassen. JURI STERNBURG