EHEC-Epidemie in Deutschland: EU wird Alarmstufe 1 ausrufen
Europa beobachtet die Ehec-Epidemie in Deutschland mit Sorge. Der Vorsitzende des EU-Gesundheitsausschusses sagte, es sei nur "eine Frage der Zeit", bis auch andere Länder betroffen seien.
BERLIN/OSNABRÜCK/MÜNSTER dapd/afp/dpa | Die EU wird wegen der EHEC-Epidemie in Deutschland bald europaweit die Alarmstufe 1 ausrufen. Das sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im EU-Parlament, Jo Leinen (SPD), der Neuen Osnabrücker Zeitung.
"Die EU-Kommission und wir im Parlament nehmen die besorgniserregende Entwicklung in Deutschland sehr ernst. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der gefährliche EHEC-Erreger auch auf andere EU-Länder überspringt" erläuterte Leinen. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten in Stockholm sei bereits eingeschaltet worden.
Bei der Alarmstufe 1 werden alle Mitgliedsländer der EU aufgerufen, Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerungen einzuleiten. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde vermutet, dass der Erreger über eine Salatsorte verbreitet werde. Genaue Erkenntnisse fehlten aber noch, sagte Leinen.
Derzeit erlebe Deutschland den stärksten je registrierten EHEC-Ausbruch, sagte Reinhard Burge, Chef des Robert-Koch-Institus, am Mittwochabend. Es gebe so viele Erkrankte pro Woche wie sonst in einem Jahr. Zwei Drittel der Betroffenen seien Frauen. Burger glaubt, dass die Infektionszahlen abflauen werden, wenn das Lebensmittel, das mit den Ehec-Bakterien befallen ist, gefunden sei.
Forscher der Uni Münster: "haben EHEC identifiziert"
Forscher der Universität Münster haben nach eigenen Angaben den Keim identifiziert, der EHEC auslöst. Dabei handele es sich um eine seltene und veränderte Variante des Erregers, die gegen viele Medikamente resistent geworden sei, hieß es in den Tagesthemen am Mittwochabend. "Wir müssen jetzt prüfen, ob es noch weitere Veränderungen gibt, die ihn so gefährlich machen, die die Ursache sind für seine hohe Virulenz", sagte der Mikrobiologe Prof. Helge Karch. Er leitet das Konsiliarlabor für das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Das Labor war für nähere Informationen am Donnerstagmorgen zunächst nicht zu erreichen.
Beim aktuellen Krankheitsausbruch sind mindestens zwei Frauen nachweislich durch den Erreger gestorben. In weiteren Fällen besteht der Verdacht, dass EHEC die Todesursache ist. Zudem kann die Erkrankung Nierenschäden hinterlassen. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) nannte die Ausbreitung "besorgniserregend".
Mehr als 600 Fälle registriert
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa waren am Mittwoch mehr als 600 Fälle registriert, von denen aber noch nicht alle bestätigt sind - am Dienstag waren es noch etwa 460. Die Zahl der besonders schweren Krankheitsverläufe mit blutigem Durchfall und Nierenversagen ist laut RKI auf mindestens 140 gestiegen.
Meldungen über bestätigte Infektionen oder Verdachtsfälle kommen mittlerweile aus 15 der 16 Bundesländer - nur Rheinland-Pfalz hat noch keinen Fall gemeldet. Der Schwerpunkt der Infektionen liegt in Norddeutschland. Am stärksten betroffen ist derzeit Hamburg. Für den Stadtstaat und Schleswig-Holstein meldeten die Behörden zusammen mehr als 400 Erkrankungen und Verdachtsfälle.
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) befürchtet, dass dort infizierte Patienten sterben werden. "Wir müssen damit rechnen, Patienten zu verlieren", sagte der Nierenspezialist Rolf Stahl. Den Angaben zufolge werden derzeit 33 Erwachsene und 14 Kinder behandelt.
Ärztepräsident warnt vor Panik
Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe warnte vor Panik. Hoppe hält die Ausbreitung des EHEC-Keims für beherrschbar. "Wenn die Bürger jetzt die Hygiene-Empfehlungen einhalten, dann kann die schnelle Verbreitung des EHEC-Bakteriums gestoppt werden. Ich gehe davon aus, dass das gelingen wird", sagte Hoppe der Rheinischen Post in Düsseldorf (Donnerstagausgabe).
Für die Versorgung der Kranken sieht Hoppe das Land demnach gut gerüstet: "Es gibt in Deutschland genug Dialyse-Stationen, so dass alle an dem EHEC-Bakterium schwer Erkrankten versorgt werden können. Darüber müssen wir uns keine Sorgen machen."
Warnung vor Tomaten, Gurken und Salat
Das Robert-Koch-Institut und das Bundesinstitut für Risikobewertung raten dazu vorsorglich dazu, bis auf weiteres keine Tomaten, Gurken und Salate aus Norddeutschland zu verzehren. Eine Studie habe gezeigt, dass EHEC-Erkrankte diese Gemüsesorten deutlich häufiger gegessen hätten als gesunde Vergleichspersonen. Experten raten darum, vorsorglich auf diese Lebensmittel ganz zu verzichten - besonders, wenn sie aus Norddeutschland kommen.
Dennoch suchen die Experten weiter fieberhaft nach dem Auslöser für die lebensbedrohliche Darmerkrankung. Den Angaben zufolge könnte nur eines oder mehrere dieser Gemüsesorten mit der EHEC-Welle zusammenhängen. Aber auch andere Lebensmittel wie Fleisch, Milch und Käse kommen nach wie vor als Infektionsquelle infrage - auch wenn dort noch keine EHEC-Keime nachgewiesen wurden.
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