Durchs Dröhnland: Was Underberg für die Verdauung ist
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Nun gut, endlich angekommen in dieser Zeit. Gut zu wissen, daß selbst Art-Rock wieder möglich geworden ist. Und noch besser: Dazu zu stehen, daß man Art- Rock macht. Da kann man sogar aus Dortmund kommen, wie es die Phantoms of the Future tun, und die Borussia-Anspielung wird verkniffen, auch weil sie absolut nicht paßt. Gegen Genesis haben die vier Herren gar nichts mehr, die waren eben auch sehr visuell. Und esoterisch sind sie, was man aus den Texten erschließen darf. Und aus den Auftritten, wo mit Masken und Licht versucht wird, das Versprechen des CD-Titels „The Trance Album“ einzulösen. Anhören tut sich das sehr divergierend von schön-schlichten Metal-Parts über ausufernde Hippie-Dramatik bis zu hyperventilierenden Angriffen auf die Geduld. Mal dies, mal das, aber immer hübsch durchkomponiert und völlig beherrscht. Trance wird von den Phantoms zu oft mit Depression verwechselt, auch wenn sich diese nicht ausschließen müssen. Dann folgen die besten westfälischen Momente. Mit dabei diesen Abend sind neben den immer noch überzeugendsten Cowboys Berlins, den Waltons, auch noch Mega City 4, Levitation und die nun wirklich herzlich überflüssigen Scottish Sex Pistols.
Am 18.6. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Es war einmal eine australische Band, die sich The Saints nannte. Die nahm ein Demo auf, das so gut war, daß es so, wie es war, auf Platte gepreßt wurde. Und „I'm Stranded“ sollte der erste Punkhit werden, drei Monate vor „Anarchy in the UK“. Dummerweise waren die Saints gar keine Punkband und versuchten fortan vergeblich, zu erklären, daß sie nie so derbe klingen wollten. Nach nicht mal zwei Jahren verließ Ed Kuepper die Saints, und der Rest machte eher weniger erfolgreich weiterhin recht mainstreamigen Matsch. Kuepper gründete flugs die Laughing Clowns, um deren Potential und Innovationskraft noch heute Legenden wuchern. Das dauerte so fünf Jahre, seitdem ist Kuepper solo und glücklich, nimmt Alben auf und beweist immerfort, daß die ersten genialen Saints-Sachen vornehmlich auf seinem Mist gewachsen sein dürften. Der kann mehr Intensität in eine einzige akustische Ballade packen als die Restheiligen in ihr gesamtes Schaffen. Auf seiner aktuellen CD „Serene Machine“ ist er mal Singer/Songwriter, mal spielt er einen Rock, der zwar wüstenweit von Punk entfernt ist, aber trotzdem nie in Gefahr kommt, middle-of-the-road zu ersaufen. Kuepper ist einer der wenigen, die Legendenbildung am eigenen Leib erfahren und trotzdem künstlerisch überlebt haben.
Am 18.6. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Den üblichen Besetzungswechseln mußten sich Marat's Last Bath unterwerfen, übriggeblieben ist aber immerhin Sängerin Sarah Asling, und deren Organ war schon davor allesbeherrschend. Dem einen mag ihr Modulieren zu gewollt sein, der andere wird ihren Facettenreichtum loben, Singen kann sie jedenfalls. Die neuerdings mit Geige erweiterten Folkgeräusche der Band spielen da nur eine Nebenrolle.
Am 19.6. im Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170
Vieles wurde schon geschrieben über Herrn Reiner Frey, der sich selbst Yref nennt, wenn er solo seine Gitarre bemüht. Im Verhältnis dazu wird er selten gehört. Dabei sollte jeder, der glaubt, daß schon längst alles Denkbare aus den berühmten sechs Saiten herausgeholt wurde, wissen, wo Yref gerade sein Instrument aufhängt.
Am 19.6. um 23 Uhr im Ex'n Pop, Mansteinstraße 14, Schöneberg
In Ägypten ist er der Größte, doch hier spielt Mohamed Mounir vor kleinem Kreis in kleinen Clubs. Und das, obwohl seine arabische Popmusik durchaus eine westliche Syntax benutzt und nicht so weit von europäischer Popmusik entfernt ist wie schwarzafrikanische. Trotzdem brauchte es erst mal den Kontakt zu den in Sachen Ethnoarchäologie umherreisenden Embryo, um den Sprung nach Europa zu machen. Mounir und seine Band benutzen zwar westliche Instrumente und westliche Songstrukturen, haben sich aber die eigene Identität bewahrt, und das hört man auch, wenn man des Arabischen nicht mächtig ist.
Am 20.6. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Helden, Part Sechstausend und Irgendwas. Pere Ubu muß man nicht ankündigen, da muß man nur hingehen, denn Pere Ubu sind für die moderne Popmusik, was Underberg für die Verdauung ist. Jeder ist von der Wirkung überzeugt, aber kaum einer hat das Zeug wirklich je getrunken. Vielleicht schmeckt es am Anfang etwas bitter, aber das ist es wert – wirklich.
Am 20.6. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Jetzt mal ehrlich, war „Wicked Game“ nicht wundervoll? Auch wenn ich „Wild at Heart“ einen schrecklichen Film fand, für diesen Song kann man Chris Isaak ruhig heiligsprechen. Jenseits davon bleiben die schätzungsweise 136 Platten des Sun-Labels, die er zu Hause im Safe aufbewahrt. Auch wenn Isaak nie versucht hat, deren Sound exakt originalgetreu zu reproduzieren, hängt über seinem gesamten Schaffen fast blockierend seine übermäßige Verehrung für die alten Männer des Rock'n'Roll. Das ist für einen Menschen in seinem Alter zwar sympathisch, aber sorgt für zu große Divergenz auf seinen Platten. Bei einem Song denkt man Jerry Lee Lewis, beim nächsten Carl Perkins, dann Eddie Cochran und so fort bis Elvis. Doch wo bleibt Chris selbst? Irgendwo verschwunden hinter der Steel Guitar. Die gibt's auch wieder auf der neuen namens „San Francisco Days“, aber dazu fällt dann nur „Wicked Game“ ins Hirn und was für ein großartiger Song das war und daß kein Nachfolger in Sicht ist.
Am 21.6. um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Es gibt wohl kaum einen Club, der so legendenumwoben ist wie die New Yorker Knitting Factory. Kaum einer war zwar mal da, aber der Laden selbst hat mit Hilfe selbstproduzierter Radio-Shows, selbstverlegter Platten und selbstorganisierter Tourneen kräftig dazu mitgetan. Das Konzept ist keins, jeder darf alles spielen, wenn es nur irgendwie Musik ist. Von Normalo-Rock bis Völligkrankhaft-Jazz. Und das ist ja auch schön. Diesmal dabei sind New & Used (sehr free), Roy Nathanson & Anthony Coleman (sehr cool, sehr Experiment) und das Charles Gayle Trio (irgendwie quäkig).
Am 21.6. um 22 Uhr im Franz
Am ersten Tag erfand Sid Vicious den Punkrock. Am zweiten erschuf er den Pogo und am dritten das Stagediving. Am vierten zog er einem Fan seinen Baß über den Schädel. Am fünften Tag schließlich setzte er seinem Leben ein Ende und sah, daß es gut war. Auf den ersten Blick ist leicht zu erkennen, daß da noch ein paar Tage fehlen. Seitdem arbeiten andere dran. Bad Religion zum Beispiel, die tun das ganz besonders verbissen seit nun schon 13 Jahren – immer mit demselben Rhythmus, fast derselben Melodie und öfter mal mit demselben Song- Anfang. Doch niemand sonst beherrscht genau das mit solch souveräner Selbstverständlichkeit, außer vielleicht den Ramones mal früher, sehr viel früher. Stellen Sie sich vor, alles hört sich exakt gleich an, und Sie finden es trotzdem knorke – genau das ist Bad Religion. Übrigens sollen Bad Religion so was wie die Erfinder von Hardcore sein. Glauben Sie so was nicht, gehen Sie hin, und haben Sie einen schnellen Abend.
Am 23.6. um 20 Uhr im Tempodrom Thomas Winkler
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