Durchs Dröhnland: Fröhlicher Familienspaß
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Und wieder naht eine Woche historischer Höhepunkte des Unterhaltungsimperialismus sowie supertollsten Freizeitvergnügens für all diejenigen, die eifrig gespart, ihre Ausgehschuhe geputzt und den Abwasch erledigt haben. Los geht es mit dem mächtig pompösen Open-air Berlin Rocks, wo friedlich zusammen schrammelt, was gar nicht richtig zusammengehört. Zum Beispiel der rüstige Passenger unserer Jugendtage, Iggy Pop, der sich noch mit 46 einer aufstrebenden Gesundheit erfreut, aber dieses Mal nur als special guest bei den Sparkassen- Grungern von Faith No More (ach, Iggy) agiert. Gerade so, wie die achtbareren Dröhnlinge von Suicidal Tendencies, die ja letztes Jahr mit „The Art Of Rebellion“ einen anständigen Plattenbrand hingelegt haben, das New Yorker Sägekombinat Anthrax oder die englischen Holzschnitzer The Levellers. Flankiert wird die Multi- Phon-Gesellschaft noch von Monster Magnets Schmuddelkrach (igitt, Iggy), Rage Against The Machine (yoyo, Iggy), Living Colour und The Wonder Stuff. Da schicken wir unseren Landesvater Diepgen (ähem, Iggy) hin — als Fortbildungsseminar — und borgen ihm dafür unsere wirklich schicke Seattle-Wollmütze.
Am 4.6. ab 11 Uhr kann man sich seine Diät-Cola vor der Freilichtbühne Wuhlheide schmecken lassen.
Keineswegs vergessen werden darf zumindest ein kleiner, bescheidener Hinweis auf eine Woche Aids-Culture/Cultural Aids, für die sich heute u.a. 18th Dye und trout, ihres Zeichens stadt- und sogar darüber hinaus bekannte Noise-Rocker, ins Gitarren-Geschirr legen werden. (Auch sonst jeden Tag diverse Bands an diversen Plätzen, Genaueres bitte den überall ausliegenden Programmheften entnehmen).
Am 4.6. um 22 Uhr im Acud, Veteranenstraße, Berlin-Mitte
Ausgeschlafen pilgert man dann am nächsten Abend an einen gar malerischen Ort, um den Brothers Grimm zu lauschen, die eher jugendliche Musik komponieren. Die vier elegisch blickenden Stoppelbärte gelten als der Tip des Dänischen Nationalradios. Bei ihnen funkt und hiphopt es ein bißchen so, als hätten dieselben gütigen Sterne (Anspielung!) auf Smörebröd und Hamburg geschienen. Dann wieder tönt es wie vom Dancefloor her an unser argwöhnisches Ohr. Offenbar haben The Brothers Grimm eine Menge Platten gekauft, wissen aber noch nicht recht, wie sie die archivieren sollen. Nicht so schlimm. Wissenschaftlich korrekt heißt das „Postcore“, aber solche schweren Wörter lernt unsereins nicht mehr — weswegen wir unsern jüngeren, langen und dynamischen Bruder dahin schicken, wo es easy groovt. Vorband: Steve And The Invisible Guitar.
Am 5.6. ab 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow.
Ja Gott, Iggy, dieser Mann ist natürlich ein Schlag für Leute, die aufs Original bestehen. Aber laßt uns der grausamen Wirklichkeit gefaßt ins Auge blicken: Everybodys Darling Lenny Kravitz beglückt inzwischen Hunderttausende, darunter Pot-Händler und Groupies, aber auch unzählige schlichte Plattenkäufer, mit einem Show-und-Klang-Design, das irgendwo zwischen Jimi Hendrix, Trompetenhosen und Paisley-Sakko marodiert. „Let Love Rule“ von 89 fanden wir noch recht erleuchtend, um nicht zu sagen Klasse, aber zu Lennys drittem Werk „Are You Gonna Go my Way“ sagen wir einfach mal „Nein“. Ein silberner Ring im Ohr ist nun mal keine hinreichende Arznei gegen den Erinnerungskater, der uns unweigerlich überfallen würde, folgten wir all den tulpenärmelnden Post-Hippies (Peace, Peace, Alter!). Sei stark, Iggy! Uns täuscht kein Lenny-Boy, dessen Gast in dieser verkehrten Welt Robert Plant ist. Wir bleiben zu Hause und sehen uns im Fernsehen den „Beatclub“ an (23.30 im ORB).
Am 6.6. um 20 Uhr in der Deutschlandhalle, Messedamm, Charlottenburg.
Heute fällt uns die Entscheidung besonders leicht. Rio Reiser und der unleidliche Weltverbesserer Gerhard Gundermann? Das Electric Light Orchestra? Nein: Love Is My Only Crime soll es sein! Ach, nicht allein Love, auch Sex und Intelligence trieben uns kürzlich in höherkalibriges Unglück, weswegen wir höchstpersönlich zu diesem erlesenen Country-Reigen gebrochener Herzen eilen werden. Hier trübeln Alex Chilton und der von uns hochverehrte, mit einer „großartigen“ Familie „gesegnete“ (O- Ton) Dauer-Tramp Townes van Zandt, der „...always the perfect gentleman, even with a broken heart“ ist. Hier schluchzen die sonderbarsten Ritter von der traurigsten Gestalt – die Country Rockers — über die „Mexicali Rose“, jung und dynamisch mit ihren zwischen 53 und 80 Jahren pro Person (Vorsicht, dem „Memphis Flyer“ zufolge „America's Most Dangerous Band“!) Und selbst die Circe Lorette Velvette, der die Dorftrottel von Männern eigentlich reihenweise zu Füßen liegen müßten, ist nicht „lucky in love“, ebensowenig wie die Mädels von Alluring Strange – so jung und auch schon dem „Prison Love“ verhaftet. Derartig viel Leid spricht uns natürlich pausenlos an, denn hier sind wir Mensch, hier dürfen wir's sein: als Single unter Mitsingles, als Romantomelancholikerin unter seufzenden Mentalmasochisten, geborgen in einer Gemeinschaft von lonely hearts, in der man sich gegenseitig Taschentücher leiht oder trosteshalber höherprozentige Getränke spendiert — wobei man der nächsten Love Is My Only Crime- Krise näherkommen wird...
Am 8.6. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.
Und auch hier dürfen wir Mensch sein, verschämt die allseitig gebildete Persönlichkeit raushängen lassen, uns nämlich befreundet- balkanisch-bulgarisch wiegen. Hey Folks, kramt Hirschbeutel und Jesuslatschen vom Boden — die Bulgaren kommen! Le Mystere des Voix Bulgares sind immerhin zu Charts-Ehren gekommen, als großartige Beigabe für Danceflooristen zum Beispiel, also sollte man sich des Vergnügens und ungeschmälerten Eindrucks halber unbedingt das Original antun. 24 zauberhaft gewandete, zauberhaft stolze Frauen, die zu gewaltiger Vokal-Polyphonie auflaufen – das weitet die kranke Seele, weckt das tote Herz und mahnt beiläufig daran, daß Europas Kulturgut nicht allein in Großbritannien oder Mörderland geschaffen wird. Anti-Ignoranz- Stimulans und außerdem ein Abend für die ganze Familie. Jawohl.
Am 9.6. um 20 Uhr im Tempodrom, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten. Anke Westphal
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