Durchs Dröhnland: Rollmops, hüpfend
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Als die Mutoid Waste Company im Sommer 1989 in der Landschaftswunde campierte, die später einmal der Görlitzer Park werden sollte, waren sie – gelinde gesagt – ein Schock. Nicht wegen ihres Aussehens, das Punktraditionen bis ins Mad-Maxsche übersteigerte, sondern wegen der Selbstverständlichkeit, mit der die lose Kommune aus England eine gesellschaftliche Nische gefunden hatte. Ihr Angebot an die Konsumgesellschaft, deren Reste, vor allem aber Metallschrott, umsonst zu übernehmen, durch Überführung in Kunst zu entsorgen und sich dadurch einen herrschaftsfreien Raum zu schaffen, war schlicht genial und in höchstem Grade subversiv. Ihre Ideologie war einfach, sie hatten keine: „Wir machen keine Politik. Wir sagen nicht, alle Leute sollen so leben wie wir. Wir wollen nur zeigen, was man mit Abfall machen kann. Es gibt Leute, die würden mehr draus machen. Es als Hebel benutzen, politisch zum Beispiel. Ich will Spaß haben. Es gibt verschiedene Auffassungen darüber in der Company. Viele sagen, sie machen mit, weil es zuviel Abfall gibt in der Welt. Aber wir sagen das nicht ausdrücklich. Wir sagen nicht: Es gibt zuviel Abfall! Wir sagen: Verwende ihn!“
1989 errichteten sie einen Vogel, der über die Mauer gen Osten blickte und Erich so erschreckte, daß er wie gelähmt der Revolution im eigenen Land zusah. Im Jahre 1992, bei ihrem zweiten Besuch in Berlin, entstand ein „Monument zum Ende des Kalten Krieges“. Die Politik hatte nun doch Einzug gehalten, aber die Mitglieder der Company hatten noch ihren Spaß. 1989 träumten schon einige von Flugzeugen, 1992 bekamen sie sie: zwei MiG-21-Kampfflugzeuge. Oder genauer formuliert: Sie klauten sie. Von einem früheren Truppenübungsgelände der NVA in der Nähe von Strausberg. Dazu gründete sich der Lost Tribe of MiG als Ableger der MWCo. Die MiGs sollen nun gen Osten, nach Rußland geschafft werden – mit der gesamten Company. Doch dazu brauchen sie erst einmal Geld, und zu diesem Zweck veranstaltet der Lost Tribe zusammen mit dem Spiral Tribe Sound System eine Silvesterparty, bei der die MiGs – symbolisch – gestartet werden.
Mit dem Spiral Tribe haben die Mutoid-Leute die perfekten Partner gefunden. Denn obwohl ein Teil der Mutoids auch regelmäßig Konzerte gab, waren ihre Bemühungen in diese Richtung doch eher dürftig. Und Spiral Tribe sind Kinder desselben Geistes. In England veranstalteten sie Techno-Raves als Alternative zur horrend teuren Nachtclub-Szene. Die hochsubversiven und strenggeheimen Parties waren stets gut besucht und wurden ausführlich von der Polizei behindert. Das führte sogar zu Haftstrafen für einige. Der Rest floh nach Berlin und campierte fortan gemeinsam mit den Mutoids.
Das bevorstehende Silvestererlebnis wird man man wohl so schnell nicht vergessen. Musik vom einstmals größten und jetzt immerhin noch interessantesten Techno-Sound-System der Welt, die angeblich „größte Lasershow Europas“ und eine so called „Feuerzeremonie“ des Lost Tribe. Und wer die Mutoid Waste Company auch nur ein bißchen kennt, weiß, daß sich da nicht nur ein paar verlorene Feuerschlucker rumtreiben.
Am 31.12., 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße, Mitte.
Eine Rechnung, die – wenn sie denn stimmt – kein so gutes Licht auf Potsdam wirft. Im Waschhaus sollen sich zum Jahreswechsel angeblich sämtliche Bands der Brandenburger Hauptstadt zur sogenannten „The Böse Session“ versammeln, um dort möglichst olle Kamellen der Rockgeschichte runterzudödeln. Der Veranstalter sprach „so von 25 Leuten auf der Bühne“. Das sollen alle Potsdamer Musikanten sein? Nun gut, immerhin sind Sandow dabei (ich dachte eigentlich immer, die seien aus Cottbus), Briski Potolsk, Desmond Q Hirnch, Pony Boy Curtis u.a.
Am 31.12., 21 Uhr, Waschhaus, Schiffbauergasse 1, Potsdam.
Wer schon immer die Möglichkeit suchte, sich per Überdosis endgültig elektrische Gitarren abzugewöhnen, ist hiermit fündig geworden. Unter dem zwar martialischen, nichtsdestotrotz aber sehr passenden Titel „HardCore/Metal-Crossover Battle Marathon“ gibt sich die Klinke in die Hand, was einfach nur lauter sein möchte als der Vorgänger. Größter Lichtblick sind noch Gunjah mit ihrem salatfrisch knackenden Funk- Core. Trauriger Tiefpunkt dafür Blind Rage mit souverän machostrotzendem Dumpfbackenmetal. Am ersten Tag außerdem dabei: Wotan, Force, Teenage Suicide, Lore und ein DJ. Viel Zeit zum Erholen bleibt nicht, denn schon ab acht Uhr morgens gibt's ein Katerfrühstück. Ich seh' jetzt schon die Rollmöpse hüpfen. Und die tun gut daran, denn abends passiert's: Slip's Revenge, deren größte Leistung darin besteht, sich tatsächlich so dämlich anzuhören, wie ihr Name nahelegt, und Bloody Metal, bei denen wir dasselbe mal unterstellen mögen. Fröhlich stimmt da nur der freie Eintritt.
Am 31.12., 20 Uhr, und am 1.1., 18 Uhr, Arcanoa, Zossener Straße 48, Kreuzberg.
Es gibt sie tatsächlich noch. Und pünktlich mit dem neuen Jahr melden sich die Planets nach fast drei Jahren „kreativer Pause“, wie das dann gerne so heißt, zurück. Berlins innigstes Pärchen hat einen neuerlichen Start des Raumschiffes beschlossen. Wera Wonder und Mik Moon kamen 1985 frisch vom Planeten Aldebaran und landeten auf der Erde mitten in den goldenen Sixties. Das glaubten sie zumindest, die Zeitmaschine war wohl falsch eingestellt. Seitdem bemühen sie sich um Anschluß an die Entwicklung, die die elektrisch verstärkte Rockmusik in den folgenden dreißig Jahren genommen hat, und endeten doch meist nur in schrillem Gekiekse und bunter Schminke. Die Planets sind und bleiben der beste Witz der Stadt, der je Musik gemacht hat.
Am 1.1., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg. Thomas Winkler
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