Durchs Dröhnland: Und Gott schuf Paul K
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Oder so ähnlich. Problematisch wird es erst, wenn nicht ganz klar wird, ob der Humor denn nun welcher sein soll. Dieweissenmänner haben eine Single gemacht, und jedes der drei Stücke läßt einem die Entscheidung offen. Das titelgebende „NRW“ ist eine völlig ungebrochene Hymne auf Nordrhein-Westfalen mit Zeilen, die einen erschauern lassen: „Man muß nur ein paar Meter laufen/ Um sich irgend was zu kaufen“ oder „Es gibt ne Bahn die fährt/ Und alle Straßen sind geteert“. Daß da nicht nur der Reimzwang mit unserem – übrigens gemischtgeschlechtlichen – Trio durchgegangen ist, legt der Refrain nahe: „Sechzehn Bundesländer sind mir bekannt/ Doch das allerbeste Bundesland/ Von der ganzen BRD/ Nenn ich zärtlich NRW“. Das Ganze dann vertont fast ausschließlich mit Saxophon und Bass. Und immerhin das ergibt einen wunderbar reduzierten Effekt zwischen der rundlich- dümmlichen Leichtigkeit der Neuen Deutschen Welle und einem reduzierten Cool-Jazz-Feeling. Wenn es nicht so mißverständlich wäre, könnten sich die wenigen, bisher noch vom Herzinfarkt verschont gebliebenen Yuppies vielleicht dran erfreuen. Weiter in die Tiefen der poppenden Deutschtümelei geht es mit einer nahezu wortwörtlichen und entsprechend holprig-blöden Übertragung von „These Boots Are Made for Walking“ von Lee Hazlewood. Den Abschluß macht dann Bettina, ihres Zeichens Sekretärin und schwanger, ihr Chef hat ihr Scheidung und Heirat versprochen, also das „Glück“. So zwischen den frischgekehrten Bürgersteigen, streng lackierten Fingernägeln und dem „Schlaraffenland an Rhein und Ruhr“ sucht man hoffnungsfroh, aber schlußendlich verzweifelt nach der Satire. Die haben Dieweissenmänner wahrscheinlich nicht vorgesehen. Aber dann ist es halt Realsatire. Oder ich bin nur zu doof.
Heute, 21 Uhr, Wabe, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg.
Die Geschichte ist einfach zu schön und soll deshalb noch einmal erzählt werden. Als Karl S. Blue and his Magic Quells aus dem norddeutschen Billstedt ihre bisher erste und einzige LP mit rüdem Sixties-Garagen-Punk aufnahmen, mußte schließlich der Label-Chef höchstselbst seinen altehrwürdigen Mercedes verscherbeln, weil das strikte Nur-Vinyl-Produkt „7.342,80 Deutsche Mark mehr gekostet hatte als geplant“. Und noch eine Anekdote aus der Gründerzeit. Das Quartett war noch nicht lange zusammen, als Trommler Jim „Mausi“ Quell vor den Schergen, die ihn zum Dienst am Vaterlande zwingen wollten, ins gelobte Land, den Hort der Freiheit floh. Dort lernte er offensichtlich auch, daß die USA ebenso der Hort der durchtriebenen Seelendoktoren ist, und wurde schließlich mit einem psychiatrischen Gutachten ausgemustert. Solche Renitenz verwundert gar nicht, denn schließlich liegen auch die musikalischen Interessen der vier eindeutig vor der Wiederbewaffnung. Auch wenn sie selbst sich nicht recht auf die Klassifizierung einigen können, denn mal ist es trashy, dann wieder ganz traditioneller Rock 'n' Roll. Die Wahrheit liegt, wie so oft, im Kompromiß. Von den originalen Aufnahmen aus den 50ern fehlt Herrn Blue die staubige Knöchernheit, vom Trash der Achtziger der hysterische Wille zum Überdrehen. Die Magic Quells erinnern noch am ehesten an die Musik aus den Sechzigern, etwa an die ganz frühen Them, als noch keiner das Wort psychedelisch kannte, die Töne zwar schon die kommenden Drogen- und Soundexzesse andeuteten, aber die Strukturen streng im Drei-Minuten-Popsong verharrten. Und mit dem souveränen Umgang damit stehen Karl S. Blue and his Magic Quells hierzulande doch recht alleine.
Morgen, 23 Uhr mit No Man's Fool (Berlin), Eimer, Rosenthaler Straße 68, Mitte.
Wird sie das Schicksal so vieler hoffnungsvoller Independent- Bands ereilen? Werden die Afghan Whigs, obwohl bei weitem nicht so chaotisch punkrockend wie die meisten ihrer Kollegen auf SubPop, weiter dem großen Erfolg hinterherlaufen? Werden sie weiter von der Kritik und doch vom Publikum verschmäht bleiben? Wird Greg Dulli weiterhin lauter kleine, dufte Songperlen aneinanderreihen und doch nie den Megahit schreiben? Wird sich Kurt Cobain weiter ins Fäustchen lachen dürfen? Wird der Schritt zur Industrie, den die Afghan Whigs zur WEA taten, trotz der Zusicherung absoluter künstlerischer Freiheit zum Schuß in den Ofen? Oder schaffen es die vier, ganz ehrlich zu bleiben und doch die Liebe der Massen zu erringen? Ziehen sie aus Cincinnati weg und landen nach diversen Umwegen doch noch in Seattle, weil die Plattenfirma das gerne so sähe? Treffen sie sich dort auf dem Müllplatz zum allerletzten Pokerspiel mit Mudhoney? Fragen über Fragen, aber so wenige Antworten: Immerhin ist auch die letzte Platte der Afghan Whigs namens „Gentlemen“ wieder sehr gut geworden. Und was will eine Rockband schon mehr? Mehr darüber in der nächsten Folge unserer beliebten Seifenoper „Grunge Heights 08/15“. Keine Rolle frei war dort für Paul K. Der ist schon über dreißig und das, was man – wenn man es böse meint – gemeinhin authentisch nennt. Das soll heißen, hier geht es weniger um Stil, um Image oder gar um Erfolg. Bei K geht es darum, daß einer muß, weil er nicht anders kann. Gar nicht unerwartet ist die Musik dann auch reduziert, daß es schmerzt, und quälen sich Ks Stimmbänder, als ob die schmerzen würden. Das heißt dann Seele, Hingabe, Maniac, und der Grat zur Lächerlichkeit ist genau derselbe wie der Grat zur Unehrlichkeit, die immer auch mit einem Nicht-über-sich- selbst-lachen-Können einhergeht. Paul K lacht zwar nicht lauthals, aber die bösewichtige Welt, die so auf ihn einstürzt, die nimmt man ihm ab. Für Freunde ehrlicher Rockmusik – und das ganz und gar unironisch gemeint – hat Gott diese Woche Paul K and The Weathermen erschaffen.
Am 19.1., 21 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Kreuzberg.
Wie immer, wenn man nicht recht weiß, wo's langgehen soll, wie man beschreiben soll, überschlagen sich die assoziierten Namen. Ich hab' mir nur einen ausgesucht. Mal erinnern Need A New Drug an Joy Division, so lässig und doch hysterisch spielen sie immer wieder dieselbe Gitarrenlinie, steigern sie, lassen doch nicht los, monotisieren noch mal, immer noch nicht, und der Song geht dann doch nie richtig los. Natürlich ist da auch viel Hardcore, viel Noise, jede Menge Metal, etwas Techno (jedenfalls von der Stimmung), mal spielen sie sogar ein ganz normales Riff. Tatsächlich aber ist das Trio aus Dresden schlicht einmalig, steht allein auf verlorenem Posten in trüber Landschaft aus zerstörten Klängen, zerfetzten Liedern und verstaubten Hoffnungen. Es hat gedauert, aber letztendlich doch hat der Osten sich gelöst aus der Bevormundung durch den ehemals staatlich und dann kommerziell verordneten Kulturbetrieb. Need A New Drug sind ganz sicherlich nicht die hörbarste Band seit der Wende. Aber ebenso sicher eine der besten.
Am 20.1., 22.30, Tacheles, Oranienburger Straße 53–56, Mitte, und am 22.1., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg. Thomas Winkler
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