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Durchs DröhnlandDie Erde dreht sich

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Man merkt auch Velvet Jones an, daß sie ihre Beatles gehört haben. Das unterscheidet sie also kein bißchen von allen anderen englischen Bands, Bassist und Songschreiber Giles Martin war die Auseinandersetzung mit den Popübervätern allerdings sprichwörtlich in die Wiege gelegt: Der Arme ist Sohnemann von Beatles-Produzent George Martin und assistierte Papa unlängst sogar bei der Abmischung der „Anthology“. Ungefähr zur selben Zeit produzierte Giles selbst eine Band namens The Kays, die kurz darauf als Kula Shaker ziemlich berühmt wurde. Das ewige Schattendasein muß ihn irgendwie gestört haben. Deswegen gibt es jetzt Velvet Jones. Die Beatles hört man, wie gesagt. Doch eine allzu große Nähe zum Britpop versuchen die vier aus London mit etwas heftigeren Gitarren und der Andeutung von amerikanischer Weite zu vermeiden. Das Täuschungsmanöver gelingt allerdings nur selten, meistens bricht dann doch der typisch britische Hang zur anspruchsvollen Komposition durch, die trotzdem natürlich Pop sein soll. Wenn es gelingt, und auch das kommt bei Velvet Jones vor, ist es dann allerdings auch ziemlich großartig.

10. 10., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Getroffen hat man sich in Berlin, aber das Line-up von Shred ist schwer multikulti. Eine Ungarin, eine Frau aus Persien und eine aus dem Ruhrgebiet spielen, während die aus Chicago stammende Kollegin singt. Ihre Musik dagegen ist eher eindimensional: Etwas altmodische Rockmusik, die weder um Gitarrenschweinigeleien noch um eine hübsche Melodie verlegen ist. Aber der bessere Hardrock wird ja nun schon einige Zeit eh von Frauen gemacht, und der Weg zu L7 ist für Shred nicht mehr allzu weit.

10. 10., 24 Uhr, Café Swing, Nollendorfplatz, Schöneberg, Eintritt frei

Die Merricks sind keine Musiker mit diesem speziellen Musikerstolz. Sie wollen nichts originär Eigenes schaffen, haben kein Anspruch auf Unverwechselbarkeit, sondern sind glücklich mit einem rekonstruierenden, ja fast schon konservierenden Ansatz. Mit FSK gibt es nicht nur personelle Überschneidungen, sondern auch diese Gemeinsamkeit. „Fanmusik“ hat es Obermerrick Bernd Hartwich genannt, Pop ist es dann schließlich, wenn auch eher in einem archäologischen Sinne. Die Merricks sind auf der Suche nach dem Konsens, der erfolgreichen Pop immer umgibt, wenn auch nur retrospektiv. Zuletzt haben sie sich an der Münchner Variante des Disco-Sounds versucht, der von Giorgio Moroder in ihrer Heimatstadt erfunden wurde. Das Ergebnis sind elegische Schnulzen und ungebrochen optimistische Up-Tempo-Nummern in einem zuckerwatteweichen Wabersound, der – wie das in den 70ern eben so war – gleichzeitig frenetisch und zurückgenommen daherdudelt.

Damals, das vor allem merkt man, war die Welt noch etwas einfacher konfiguriert: „Abends wieder dann zuhaus / Leg' ich gern Platten auf / Die Erde dreht sich Tick um Tick / Und die Platte dreht sich mit.“

10. 10., 22 Uhr, Schleusenkrug, An der Tiergartenschleuse/Müller-Breslau-Straße, Charlottenburg

Endlich hat sich diese Generation an die Mischpulte der Macht gesetzt, die Gitarren zur Seite gelegt, um schlußendlich mit der Elektronik doch noch zu schaffen, wozu Klampfen schon lange nicht mehr in der Lage sind: Aufregung, vielleicht Veränderung, möglicherweise sogar Revolution. Wurde auch langsam Zeit, nachdem man das letzte Vierteljahrhundert leicht das Gefühl bekommen konnte, außer Punk ist nichts passiert, Soul ist die einzige Musik, die es sich lohnt wiederzuentdecken, und ansonsten wird Jazz gesampelt. Es wurde viel gefummelt und gemixt, viel ausprobiert in den letzten zehn Jahren, aber vor Daft Punk wurde noch nie so deutlich, daß die Gitarre ausgespielt hat. Noch vor gar nicht so langer Zeit hätten sich Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homen Christo garantiert einen Bassisten und einen Schlagzeuger gesucht, eine Band gegründet und dann vielleicht fiese Musik mit Rückkopplungen gemacht oder einfach böse knallenden Punkrock.

Tatsächlich haben die beiden genau das versucht, bevor sie vor vier Jahren die Sechssaiter ausrangierten. Daft Punk heißen wie sie heißen, weil ein Kritiker die Musik ihrer Gitarrenband Darling einmal so nannte. Nun fassen sie zusammen, was all die Jahre streng getrennt gehörte: Sie spielen House mit der Attitüde des Punk und tun so, als sei Techno Pop. Man kann zu ihren Tracks klasse headbangen, man kann grooven, man kann Pogo tanzen und schwofen, nur chillen kann man bestimmt nicht. Entweder sind sie das allerletzte Zeichen, daß die Apokalypse unmittelbar bevorsteht. Oder alles wird gut. Wer will das schon entscheiden: Hauptsache, es passiert überhaupt was. Laß die Reise beginnen: Energie!

11. 10., 21 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln

Es ranken sich Legenden um die Anfangstage von KMDFM. Allerdings kann man davon ausgehen, daß Sascha Konietzko den größten Teil davon selbst in die Welt gesetzt hat. Eine Version ist die, daß Konietzko die erste Besetzung, vier Polen nämlich, in einem Pariser Puff gefunden hat. Die andere, daß er seinen langjährigen Mitstreiter En Esch bei der Wohnungssuche traf. Wie es auch immer gewesen sein mag damals, fest steht jedenfalls, daß Konietzko und seine ständig wechselnde Belegschaft seitdem Industrial und Verwandtes wie EBM nicht unwesentlich mitbestimmt haben. Nur daß der Prophet mal wieder im eigenen Lande nicht viel galt: Während KMDFM im Ausland zwar nicht gerade gefeiert, aber doch zumindest ansprechend gewürdigt wurden, blieben sie hierzulande mehr oder weniger ein Nonfaktor. Konsequenterweise siedelte Konietzko vor sieben Jahren in Chicago, um von dort aus seinen kreativen Haufen mit — wie man so hört — strenger Hand zu organisieren. Als Nine Inch Nails unchristlich viel Geld verdienten, konnte man vorsichtig anmerken, daß KMDFM so ziemlich genau dasselbe schon vorher gemacht hatten. Aber Mitgefühl wäre wahrscheinlich das letzte, was sie wollen, stand ihre Abkürzung damals in Paris doch für „Keine Mehrheit für das Mitleid“.

Mit DJ Tanith, 14. 10, 20 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg Thomas Winkler

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