piwik no script img

Dunkles Berlin gefällig ?

„Tatort Mulackritze“ – die Edition Scheunenviertel begibt sich in die Berliner Unterwelt  ■ Von Caroline Roeder

Nutten-Emil, Nuckel-Paule und die Gebrüder Saß: Die Männer sind alle Verbrecher. Den Unterwelt-Stars im Berlin der zwanziger Jahre hat der Journalist und Kriminalromanverfasser Hans Pollak ihre Geschichte geschrieben. „Tatort Mulackritze“ heißt die Neuerscheinung, die das organisierte Verbrechen, angesiedelt im Berliner Scheunenviertel, von seinen sportlichen Anfängen 1890 bis zum endgültigen Aus des sogenannten Ringvereins 1957 schildert.

„Der Verein ehemaliger Strafgefangener e.V.“ war der Vater der Unterweltvereine, gegründet und polizeilich angemeldet 1890 in Berlin. Resozialisierung war seine ursprüngliche Aufgabe. Leibesübungen, insbesondere das Ringen, sollten der körperlichen Ertüchtigung ehemaliger Knastbrüder dienen. Aber bald schon erhielt der Name Ringverein eine ganz andere Bedeutung: Das Berliner organisierte Verbrechen war geboren.

Bis zum Jahre 1918 gründeten sich sechs weitere Vereine mit so blumigen Namen wie „Glaube, Liebe, Hoffnung“ oder „Hand in Hand“. Die Ringvereine hatten einen strengen Moralkodex und genauestens festgelegte Statuten. Aufgenommen wurden nur Männer im Mindestalter von einundzwanzig Jahren, jeder Neuzugang hatte zwei vorbestrafte Bürgen vorzuweisen. Nach einer Probezeit erfolgte dann der Initiationsritus.

Von den Versammlungen ausgeschlossen waren Bräute und nach Paragraph 7 auch Hunde. Viermalig unentschuldigtes Nichterscheinen bei Sitzungen wurde sanktioniert. Ehebruch mit der Dame eines anderen Bruderherzes, so die vereinsinterne Anrede, ging schon Richtung Kardinalverbrechen. Wer gesungen hatte, mußte nicht nur mit Prügeln rechnen. Der Verein indes sorgte nach dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ für die notwendigen einschlägigen Kontakte. Ein ordentliches Begräbnis und die Versorgung der Familie bei berufsbedingten Gefängnisaufenthalten waren garantiert.

1929 waren 1.600 eingeschriebene Mitglieder in sechzig Vereinen registriert, bis zum Verbot der Organisationen 1933 gab es auf das Reichsgebiet verteilt über einhundert Ringvereine, Berlin führte dabei mit siebzig. An der Spitze stand der „Geselligkeitsverein und Sportclub Immertreu“, organisiert im Großen Ring Berlin, dem zehn weitere Ring-Brüder angehörten. Der Freie Bund Berlin und die Freie Vereinigung Berlin waren zwei weitere Kopforganisationen, die allerdings hierarchisch weit unterhalb des Großen Rings angesiedelt waren.

Und wie es sich gehört, hatte jeder der Ringe einen ordentlichen Geschäftsführer, der Sorge dafür trug, daß Revierstreitigkeiten, Querelen aller Art und gemeinsame Unternehmungen geklärt und geplant wurden. Glaubt man dem Autor Hans Pollak, so gab es in Berlin – anders als in Italien – keine blutigen Auseinandersetzungen über die verwalteten Pfründe. Einmal im Jahr wurde sogar zum gemeinsamen Jahresball „Felicita“ geladen, und auch die Verbindungen zum Polizei- und Justizapparat wurden im allgemeinen bestens gepflegt. Da verschwanden schon mal Beweisstücke im polizeilichen Bermudadreieck – und zuweilen sogar ein Bruderherz aus der U-Haft.

„Die Großstadt pennt. Die Dirne stricht./ Jeknutsch, Jestöhn bei Ampellicht./ Die Scheine raus. Wer hält die Bank?/ Det jroße Los! Die Bank ist blank.“ Hans Pollak hat seine Vereinsgeschichte mit viel Unterwelt-Jargon garniert, die Panzerknackeranekdoten mit viel Sympathie ausgeschmückt. Die Lektüre vermittelt das trügerische Gefühl, die schweren Jungs seien allesamt wirklich gute Kerls gewesen. Mörder und Sittenstrolche waren ihnen ein Graus, betont der Autor. Pollaks Darstellung, Zuhälter hätten in diesen Kreisen schlechtes Ansehen genossen, gerät im Laufe des Buches allerdings etwas ins Schleudern. Das älteste Gewerbe und die Gewerbetreibenden waren nämlich in fester Hand der Ringer.

Auch die Darstellung des aufkommenden Nationalsozialismus geht bei Pollak meist in Anekdoten unter. Einerseits schreibt er, daß die Ringvereinler dezidiert unpolitisch waren, zugleich weist der Autor jedoch auf die Verbindungen der Unterwelt bis in die obersten Gesellschaftsklassen hin. Dann liest man wieder, daß viele Bruderherzen nach dem Verbot '33 Unterschlupf in den Naziorganisationen fanden, und so fort.

Pollak unterscheidet zuwenig zwischen den Bossen und den Schiebern, dem arbeitslosen Nazianhänger und der sich organisierenden Partei. Unentschieden wird versucht, das ganze korrupte Geflecht über ein halbes Jahrhundert hin darzustellen. Dabei kommt nicht nur das legendäre Scheunenviertel zu kurz. Auch Horst Wessel wird in diesem Zusammenhang ausgesprochen unzulänglich thematisiert. Es lohnt sich eher, zu diesem Thema Heinz Knoblochs Arbeit über Horst Wessel zu lesen (Links Verlag). Knobloch entzaubert den Mythos um den Nazihelden und zeigt die Dimension dieser Geschichte auf.

Auch Charlotte von Mahlsdorfs Autobiographie „Ich bin meine eigene Frau“ (edition dia) ist eine lohnende Alternative zum „Tatort Mulackritze“. Hier wird nicht nur die Geschichte eines Lokals von den zwanziger Jahren an bis in die DDR-Zeiten erzählt. Am Beispiel der Mulackritze erklärt sich auch viel eher die Geschichte der Outlaws jegliche Couleur unter den wechselnden Regimen, die über Jahrzehnte hinweg im Scheunenviertel Unterschlupf fanden. Was Charlotte von Mahlsdorf durch das Prisma eines Lokals betrachtet, geht bei Pollak in der Menge der Geschichten verloren.

Hans Pollak: „Tatort Mulackritze. Berliner Unterwelt in den zwanziger Jahren“, Edition Scheunenviertel, 214 Seiten. 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen