Druckschluss-Kolumne : Mit der App wäre das nicht passiert
Als unsere Redakteurin ihre gedruckte taz in der U-Bahn aufschlägt, starrt sie ein älterer Herr an. Der ist alles andere als erfreut, was er da sieht.
taz Seitenwende | Viele Menschen in Bussen und Bahnen vertreiben sich die Zeit mit ihren Smartphones. Man kann nur durch flüchtige Blicke erhaschen, ob sie dort bunte Kugeln hin und her schieben oder seriöse Nachrichten lesen. Selten sieht man noch Menschen mit gedruckten Zeitungen, Zeitschriften oder gar Büchern.
An einem Sommerabend steige ich mit Fahrrad in die S-Bahn. Ich setze mich auf einen der dafür vorgesehenen Klappsitze, fixiere das Rad mit dem Fuß und packe eine taz aus. Also die Papierzeitung.
Kurz schaue ich hoch. Mir gegenüber sitzt ein älterer Herr, klein, etwas rundlich, vollständig in Grau gekleidet, komplett unauffällig. Er starrt mich an und schüttelt dabei ständig den Kopf. Offenbar ist es Ausdruck seines Missfallens.
Was habe ich getan?
Was habe ich getan, was ihm so gegen den Strich geht? Vermutlich ist es mein Fahrrad – das kommt ja regelmäßig vor in vollen S-Bahnen: „Warum nehmen Sie das Rad mit in die Bahn, statt damit zu fahren?“
Egal. Ich vertiefe mich in eine Reportage. Was kümmern mich ältere graue Herren? Nach drei Stationen kommt Bewegung in die anderen Fahrradfahrer, ich schiebe mein Rad ein bisschen zur Seite. Da steht der Typ plötzlich direkt vor mir, beugt sich zu mir und zischt: „Zum Glück sterben die Grünen jetzt langsam aus!“ – Habe ich mich verhört? „Bitte?“, frage ich konsterniert. Er wiederholt den Satz.
Ich bin so baff, dass mir meine Schlagfertigkeit fehlt. „Ich glaube, Sie sind früher tot als ich“, sage ich nur. Er steigt aus. „Spinner gibt’s überall“, brummt der Mann neben mir. Ein mulmiges Gefühl bleibt. Mit der App wäre das nicht passiert. 🐾
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