■ Drei Tage lang versuchten Autonome und Linksradikale auf einem Kongreß in Berlin, Klarheit über den "Stand der Bewegung" und die Trennlinien unter ihren Fraktionen zu erlangen...: Wie lange wird es die Autonomen noch geben ?
Drei Tage lang versuchten Autonome und Linksradikale auf einem Kongreß in Berlin, Klarheit über den „Stand der Bewegung“ und die Trennlinien unter ihren Fraktionen zu erlangen. Aber statt um die intendierte Neubestimmung einer linksradikalen Politik ging es mehr um das Innenleben autonomer Strukturen
Wie lange wird es die Autonomen noch geben?
Linksradikale Antworten auf die Fragen, die die herrschende Politik aufwirft, fallen mitunter recht verschieden aus. Auf die Feierlichkeiten der Bundesregierung am 8. Mai gibt es gleich mehrere Antworten: Die „antideutschen Gruppen“ wollen am 6. Mai demonstrieren, daß alle Deutschen Täter sind, damals wie heute. Zwei Tage später will eine Demonstration der autonomen Gruppen die „Konfrontation“ mit dem Staatsakt der Bundesregierung suchen. Andere Gruppen aus der Szene kritisieren wiederum die „schlechte linke Tradition“, immer „dahin zu rennen, wo die Herrschenden gerade sind“. Und wiederum andere beteiligen sich an der Vorbereitung für die Bündnisdemonstration der Berliner „Friedenskoordination“, die am 7. Mai stattfinden wird.
Um eine Neubestimmung linksradikaler Politik sollte es am Wochenende gehen auf dem „Autonomie-Kongreß der radikalen, undogmatischen Linken“ in Berlin. Und um die Frage, ob die autonomen Leitbilder, „selbstbestimmt und kollektiv“ Politik zu machen, nicht längst der Vergangenheit angehören und zusammen mit den sozialen Bewegungen der achtziger Jahre zu Ende gegangen sind. „Wenn wir es nicht schaffen, mit anderen Mitteln als unseren liebgewordenen Ritualen politisch zu intervenieren“, meinte ein Teilnehmer zu Beginn des Ostertreffens, „dann brauchen wir uns über unsere Bedeutungslosigkeit auch nicht beklagen.“
Die Lage ist also ernst, aber nicht hoffnungslos. Am wenigsten hoffnungslos ist eine autonome Gruppe aus Kassel. Statt der „Machtfrage nach der Revolution“ stand beim Vortrag der Gruppe auf dem Autonomie-Kongreß der „Widerstand im Alltag“ im Vordergrund. Dazu gehören für die Gruppe Selbstironie, Bewußtsein für die eigenen Widersprüche und vor allem eine Ahnung von dem Schicksal, das der autonomen Szene drohen kann: Werden sie am Ende zu zweit mit Haßkappe in der Fußgängerzone stehen und ihre papieren gewordenen Inhalte feilbieten wie religöse Sekten ihre Zeitschriften?
Eine Papierschlacht war er allerdings nicht, der Autonomie- Kongreß. Das Ostertreffen der autonomen Gruppen, das nach der Absage der Humboldt-Uni zu guter Letzt in der im Niemandsland zwischen altem Westen und Mitte gelegenen Technischen Universität stattfinden konnte, geriet aber auch nicht zu der von manchen befürchteten „Familienfeier“ der versprengten Szene.
Buntes Treiben in postmodernen Räumen
Zwar herrschte in den bunten Räumen des postmodernen Mathegebäudes ein ebensolches Treiben, doch während der morgendlichen Auftaktplena und der zahllosen Arbeitsgruppen, die während des dreitägigen Treffens angeboten wurden, war die Mehrzahl der über 2.000 TeilnehmerInnen in den Hörsälen und Seminarräumen verschwunden.
Vier Schwerpunkte standen dabei im Vordergrund: Der Autonomiebegriff, die Trennlinien der linksradikalen Gruppen untereinander, der „Stand der Bewegung“ sowie die Solidarität mit drei Leuten aus der Szene, die im Zusammenhang mit dem mißglückten Bombenanschlag auf den Abschiebeknast in Berlin-Grünau gesucht werden. Unter dem Motto „Die Terroristen sind die, die Abschiebeknäste bauen und nicht die, die sie sprengen“ fand gestern nachmittag die Abschlußdemo des Kongresses statt, die am derzeitigen Abschiebeknast in der Moabiter Kruppstraße enden sollte.
Der kollektive Anspruch, „selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln“, blieb allerdings nicht unwidersprochen. Auch ein Autonomiekongreß, das zeigte sich, ist nicht von vornherein ein „herrschaftsfreier Raum“. Insbesondere am zweiten Kongreßtag wurde darum gestritten, ob der „Sexismus innerhalb der Szene“, das „Redeverhalten der Männer“ oder einfach nur „ihre Unerfahrenheit in der Auseinandersetzung mit ihrer Rolle als Täter“ ein gemeinsames Handeln, ein „Wir“- Gefühl überhaupt möglich machten.
Bezeichnend die Themen, um die es nicht ging
Was in Bewegungszeiten wie der Anti-AKW-Bewegung oder dem Häuserkampf die Stärke der autonomen Bewegung ausgemacht hat – lose Gruppen, eine Eigendynamik, bei der es nicht vorrangig um das Ergebnis ging, sondern um einen Prozeß, der möglichst viele einbezieht – droht nun auf die Autonomen zurückzufallen. Hatte man vor einigen Jahren noch darum gekämpft, die autonomen Utopien einer herrschaftsfreien Gesellschaft gegen die herrschende Gesellschaft durchzusetzen, beschäftigte man sich diesmal mehr mit sich selbst. Die vereinte Bundesrepublik blieb auf dem Oster-Kongreß der West-Autonomen ein weitgehend weißer Fleck.
Bezeichnend waren die Themen, um die es nicht ging: Mieten und Stadtteilvertreibung, ökonomische und soziale Ausgrenzung oder der übergreifende Abschied ehemaliger AktivistInnen aus der Politik. Wer sich eine Debatte um eine oppositionelle Politik jenseits der Parteipolitik von Bündnisgrünen und PDS und der institutionalisierten Politik der Bürgerinitiativen erhofft hatte, sah sich enttäuscht.
Das linksradikale Vorhaben, die Trennung zwischen Politischem und Privatem aufzuheben, hat auch auf dem Osterkongreß seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Galt es noch vor zehn Jahren, die eigene Subjektivität in die allgemeine politische Debatte zu werfen, scheint man heute mit dem „Kampf gegen Sexismus und Rassismus“ in den eigenen Reihen vollauf beschäftigt.
Selbst das politische Scheitern der Ostberliner Hausbesetzerbewegung führte zu keiner Debatte über das Spannungsverhältnis zwischen dem Versuch, in den eigenen Freiräumen Machtverhältnisse zu bekämpfen, und der platten Tatsache, daß draußen vor der Tür längst der Kampf um die materielle Existenz begonnen hat. Themen wie die Kritik der „triple oppression“ (Kapitalismus, Rassismus, Sexismus) aus der Sicht der Veganer- und Tierrechtsbewegung, kritisierte eine Ostberlinerin, seien Themen von Leuten, die sonst keine anderen Probleme haben.
Dennoch war die Unzufriedenheit über die althergebrachten Formen autonomer Rituale nicht zu übersehen. Selbst die „oft protestantische Moral“ der autonomen Szene blieb kein Tabu. „Denn nichts ist lächerlicher als Leute“, schrieb eine Münchner Gruppe in der täglich erschienenen Kongreß- Zeitung, „die von einem besseren Leben erzählen und dabei ein Gesicht haben, als hätten sie gerade einen Eimer Katzenscheiße leergefressen.“
„Wie oft glaubst du an die Revolution?“ hieß es auf dem autonomen Psychotest der Kasselaner, bei dem jeder erfahren konnte, ob er ein Freizeit-, Teilzeit- oder Vollzeitautonomer ist. Mögliche Antworten: „Meistens“, „Mindestens einmal die Woche“ oder „nur in größeren Gruppen“. Der Beifall für den Vortrag der Nordhessen zeigte denn auch stellvertretend für viele das Bedürfnis nach einer Neubestimmung autonomer Politik oder, wie es die Kongreß-Vorbereitung formuliert hatte, dem „Weg ins 21. Jahrhundert“.
Bestandsaufnahme oder „autonomer Kirchentag“?
Ob man auf diesem Weg ein Stück näweiter gekommen ist, darf freilich bezweifelt werden. Die Resümees am Ostersonntagabend waren so unterschiedlich wie die Erwartungen. Für manche war der Kongreß eine Bestandsaufnahme, für andere wiederum die „x-te Umdrehung des Sich-selbst-im- Kreis-Drehens“. Während des Schlußplenums war zwar der Wille spürbar, über die Auseinandersetzung um die eigenen Trennungslinien auch wieder zu einer Auseinandersetzung um die eigene Politik zu kommen. Doch die von vielen erhoffte Debatte um „deutlichere Positionen“ hat es wenn überhaupt nur in einzelnen Arbeitsgruppen gegeben. Er habe zeitweilig eher den Eindruck gehabt, auf einem „autonomen Kirchentag zu sein, auf dem die wichtigen Fragen kein Thema waren“, unkte gar einer.
Eine mögliche „Gelegenheit, nach Spielräumen für linksradikale Politik und undogmatische Politik und ihrer Umsetzung zu suchen“, ist für einen Teilnehmerin aus Berlin damit „einmal mehr vertan“. Offen bleibt damit auch die Frage, ob es neben ein paar übriggebliebenen Dogmatikern und Marxisten-Leninisten „die Autonomen“ in absehbarer Zeit noch geben wird. Uwe Rada
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