Drei Grimme-Preise für "Wholetrain": Ungeliebte Subkultur
Im Ausland gefeiert, im eigenen Land verschmäht. Für viele überwog das kriminelle Umfeld anstatt des Kunstcharakters des Films. Jetzt räumte das Drama bei der Grimme-Preisverleihung ab.
Lange drohte "Wholetrain" auf einem subkulturellen Abstellgleis zu enden: dort, wo das Unkraut zwischen den Schienen wuchert und bestenfalls nächtens ein paar verschworene Gestalten mit Farbdosen im Gepäck hinschleichen. Die Weichenstellungen für den Film jedenfalls gaben kaum Anlass zu Optimismus: Kinobesitzer wollten aus Angst vor Vandalismus im Lichtspielsaal den Film nicht zeigen. Die Deutsche Bahn verweigerte Filmemacher Florian Gaag schon im Vorfeld jede Drehgenehmigung und drohte, andere europäische Bahnunternehmen zum Boykott ihres Vorhabens aufzurufen, sodass Gaag erst nach langen Recherchen in Warschau grünes Licht bekam. Als dann das Geld nicht mehr für den Soundtrack reichte, griff der 36-Jährige ehemalige Graffiti-Sprüher auch noch tief in die eigene Tasche: Schließlich sollte "Wholetrain" visuell wie akustisch den Rhythmus der Sprayerszene einfangen.
Zwei Jahre lang gewannen Gaag und seine für Kamera und Schnitt zuständigen Kollegen Christian Rein und Kai Schröter mit ihrem Kinoerstling Auszeichnungen auf Dutzenden internationaler Filmfestivals. Nirgends aber ging man mit dem Film so kritisch um wie in Deutschland - wo selbst manche Tageszeitung mehr das vermeintlich kriminelle Umfeld als den Kunstcharakter des Films betonte. Da wirkt der Adolf-Grimme-Preis - mit Auszeichnungen für Regisseur, Kameramann und Cutter - für die "Wholetrain"-Macher wie ein nachträglicher Segen von ganz oben.
Die Jury hatte "Wholetrain" wegen seiner inhaltlichen Balance überzeugt: Einerseits folgen die Zuschauer den Sprüherprotagonisten des Films hautnah bei ihrer Arbeit - andererseits werden die nächtlichen Trips der Helden, ihre ständige Flucht vor Zivilfahndern immer wieder mit Szenen aus ihrem bürgerlichen Leben kontrastiert. Konflikte mit den Eltern oder die Mühen der Kinderbetreuung brechen jede Rebellenromantik.
"Der Film", begeisterte sich die New Yorker Graffiti-Legende KET, "fängt wirklich all die Kämpfe ein, die Graffiti-Writer durchleben. Und das Beste: Sie werden als Menschen gezeigt, nicht als Karikaturen." Selbst Regisseur Charlie Ahearn - er schickte vor einem Vierteljahrhundert mit "Wild Style" die Graffiti-Kultur erstmals um die Welt - hält "Wholetrain" für den einzigen legitimen Nachfolger seiner Pionierarbeit.
Was aber macht "Wholetrain" zu mehr als einem gelungenen Spielfilm? Da ist erst mal der für einen deutschen Film ganz ungewöhnliche Realismus. Gaag lässt seine Darsteller im rüden, direkten, manchmal auch genuschelten Slang ihrer Kultur sprechen. Reins Kameraführung und eine minimale Lichtregie unterstützen den Eindruck von Authentizität. Und nicht zuletzt lobte die Grimme-Jury die Synchronisierung von Wort, Musik - Gaag hat sie selbst komponiert und Rapper vom Schlag eines KRS-One dafür gewonnen - und Schröters atemlosen Schnitt. So wohnt dem Film der Hiphop-Beat inne.
Wenn der Philosoph Jean Baudrillard die Graffiti-Kunst einmal als eine Störung der herkömmlichen Zeichenordnung der Stadt interpretierte, dann fängt "Wholetrain" diesen Prozess hochrealistisch ein.
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