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Drei Baustellen und ein Hundeauslaufplatz

■ Seit über fünfzig Jahren beobachtet Oma Gaedeke das Treiben in der Gutsmuthsstraße in Steglitz

Steglitz. Oma Gaedeke, 91, kennt ihre Straße.Jeden Baum, jedes Haus, und natürlich die Bewohner. Schließlich sitzt sie nachmittags in ihrem Lehnstuhl und blickt auf die Straße. Vor über fünfzig Jahren ist sie in die Gutsmuthsstraße Nummer 19 gezogen. Damals standen in der Straße nur jene rosa und lindgrünen Mietshäuser mit Gründerzeitputz, die Steglitz, dem »größten Dorf Preußens«, seine bourgeoise Fassade gaben. »Aber heute ist doch nichts mehr da von dieser stolzen Straße, alles abgerissen und zugebaut«, klagt Oma Gaedeke. Den Zuckerbäckerstil der Jahrhundertwende hat — außer drei Häusern — der Zweite Weltkrieg endgültig weggebombt.

Für Oma Gaedeke ist die Gutsmuthsstraße heute immer noch eine besondere Straße, obwohl sie viel ihres alten Charmes eingebüßt hat. Ihre hauptsächliche Funktion und ihr Schicksal ist es, eine Straße quer zur Einkaufsmeile Schloßstraße zu sein. Wo die Bürgersteige mit Halteverbotsschildern und quer geparkten Autos vollgestellt sind. Wo es kleine säuberlich geharkte Vorgärten, aber keinen Kinderspielplatz gibt. Nur eine Parkanlage mit acht braunen Bänken, die, den Hundehaufen nach zu schließen, eher als örtliche Hundeauslaufstelle benutzt wird. Wenn Oma Gaedeke von ihrer Straße spricht, meint sie nur den hinteren, von Bäumen gesäumten Teil. Nicht den vorderen, den »häßlichen«, von Beton geprägten, der mehr oder weniger ein Zufahrtsweg für die Gewerbetreibenden des Forum Steglitz ist, einem Abklatsch amerikanischer Malls.Neben dem öden grauen Industriebau, in dessen Nischen die Tauben zu Hunderten gurren, und in dessen zugigen Aufgängen sich manchmal einige Obdachlose verkriechen, gähnt auf der anderen Straßenseite ein riesiges Loch. »Hier entsteht ein modernes Geschäfts- und Wohngebäude«, zehnstöckig, mit — wie das Plakat zeigt — einer postmodernistischen Fassade aus dem Schulbuch der Architekten. Ein architektonisches Bonbon hat das Geschäftsleben schon längst aus der Gutsmuthsstraße verdrängt. Ende der zwanziger Jahre zog der Titania-Palast massenhaft Kinobegeisterte an. Der erdbraune Bauhauskasten mit 2.071 Plätzen »lockte mit Fontänen aus Licht, die auf seiner Stirnseite tanzten. In seine aufgezogene Schleuse schlürfte der Palast den Menschenstrom ein. Hut an Hut. Gesicht an Gesicht. Es durfte keiner draußen bleiben, bevor er nicht Jannings gesehen hatte oder Chaplin und Pola Negri«, schrieb der 'Steglitzer Anzeiger‘ 1931. Heute blinkt nachts die Bewag-Leuchtschrift. Das große Kinosterben in den sechziger Jahren knipste auch dem Titania-Palast die Lichter aus. Die Staatlichen Bühnen unterhalten heute hier einen Probenraum und — neben den Schlangen vor ALDI — drückt sich manchmal eine Schar Theaterbesessener vor die Glastür, um ein Autogramm zu erhaschen. »Ich hab hier noch den Albers als Münchhausen«, schwärmt Oma Gaedeke.

Wenn Oma Gaedeke heute aus dem Fenster sieht, im hinteren Wohnteil der Gutsmuthsstraße, sieht sie zum Beispiel den Rentner — sie nennt ihn Herrn H.— mit dem riesigen schwarzen Pudel. Sein »Alfons bei Fuß« schallt laut durch die Straße. Herr H. bleibt schon mal zu einem Plausch bei den Hobbywerkern aus Nr. 20 stehen. Deren Garage ist voll mit alten Schränken und sobald die Sonne herauskommt, fliegen die Späne auf den Bürgersteig. Ein Dorn im Auge ist Oma Gaedeke das »Sonnen-Eck«, die unvermeidliche Kneipe an der Ecke zur Hackerstraße. Sie sieht sie nur, wenn sie sich beim Blumengießen weit über den Balkonrand beugt; aber was sie sieht, ist ihr Nachbar, der vormittags um elf hinter der Kneipentür verschwindet und erst »wenn anständige Menschen Feierabend haben« wieder leicht schwankend herrauskommt.

Abends um elf, wenn die Kneipe — Anstand muß sein — dicht macht, ist es totenstill auf der Straße. Krach macht nur der BMW, der zum fünftenmal um den Block kurvt und immer noch keinen Parkplatz hat. Nana Brink

Am Samstag Folge 5: Die Husemannstraße

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