"Draußen vor der Tür" im Hamburger Thalia: Gefängnis ohne Mauern

Der Regisseur Luk Perceval inszeniert Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" am Hamburger Thalia Theater als Schicksal einer ausweglosen Selbstbespiegelung.

Postdrasmatische Belastungsstörung: Beckmann ist in dieser Welt der Selbstbespiegelung gefangen. Bild: Armin Smailovic

Heutzutage gibt es für das, was der 25-jährige Kriegsheimkehrer Beckmann durchmacht, die Bezeichnung "posttraumatische Belastungsstörung". Das Berliner Bundeswehrkrankenhaus hat eine spezialisierte Abteilung, in der Soldaten mit diesem Leiden behandelt werden. Im Fernsehen gibt es Berichte und Krimis zu dem Thema, und im Bundestag ist davon die Rede, wenn der Afghanistan-Einsatz verlängert werden soll. Heutzutage, so scheint es, hat die Gesellschaft die Erkrankung erkannt und weitgehend enttabuisiert. Zu der Zeit, als Beckmann vom Krieg heimkehrte, war das anders.

Beckmann ist der Protagonist in Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür", das der Regisseur Luk Perceval am Hamburger Thalia Theater inszeniert hat. Er kommt 1947 nach drei Jahren Kriegsgefangenschaft zurück nach Hamburg. Seine Frau hat mittlerweile einen anderen Mann, seine Eltern sind tot. Ein Oberst lacht ihn aus, ein Kabarettdirektor will ihn nicht einstellen. Selbstmordträume halten Beckmann vom Schlafen ab. Überall, wo er hinkommt, erfährt er Ablehnung. Im Traum geht er in die Elbe - doch nicht einmal die will ihn behalten.

Bei der Premiere am Wochenende ist die Bühne leer und schwarz, an ihre Rückseite hat Bühnenbildnerin Katrin Brack einen wandfüllenden, leicht gebogenen Spiegel angebracht. Dadurch sehen die Zuschauer jede Person zweimal: In Natura und als Spiegelung in einem grenzenlosen schwarzen Raum. Zudem dreht sich der Bühnenboden von Zeit zu Zeit. Es ist eine haltlose Welt ohne Ausgang. Ein Gefängnis ohne Gefängnismauern.

Beckmann ist in dieser Welt der Selbstbespiegelung gefangen. Immer und überall wird er auf sich und seine Gedanken zurückgeworfen. Wenn er wegrennen will, rennt er im Kreis. Aber Beckmann ist in Percevals Inszenierung keine abgerissene Erscheinung mit Gasmaskenbrille und steifem Bein wie bei Borchert. Beckmann ist ein körperlich vitaler Mann mit T-Shirt, Vollbart und nach hinten gekämmten Haaren. Vor ihm steht ein Mikrofonständer, an dem er sich meist mit zwei Händen festhält, während er seine Texte ins Mikro spricht, haucht, flüstert oder rausschreit - Letzteres zum Postrock einer Band, die seitlich auf der Bühne steht.

Dieser Beckmann verarbeitet seine Traumata auch mit Hilfe von Rockmusik. Gespielt wird er von Felix Knopp, der zugleich Thalia-Ensemblemitglied und Sänger der Band "My Darkest Star" ist. Im Untertitel heißt die Inszenierung: "My Darkest Star live in concert".

Aber der Abend geht weit über ein Konzert hinaus. Regisseur Perceval hält sich an den Borchert-Text und entwickelt gleichzeitig eine atmosphärische Dichte, in der eruptive Rockmusik nur eines von mehreren Gestaltungsprinzipien ist. Alle Schauspieler arbeiten mit Mikrofonen und nutzen deren Möglichkeiten auch aus: Die großartige Barbara Nüsse beispielsweise spielt einen Oberst, der wie eine Maschine schmatzt, während er Beckmann erzählt, er müsse erst mal wieder ein Mensch werden.

Wie in einem Film unterlegt die Band die Szenen mit Klangcollagen, die das Abgründige der Beckmannschen Existenz musikalisch spiegeln. Beckmann wiederum hat seinen stärksten Moment, als er auf dem Boden liegend dem Kabarettdirektor sein Ehebruch-Chanson vorträgt: Es handelt sich um ein gekiekstes Lied, hervorgepresst, während sich Beckmann im Spot eines Bühnenlichts dreht, den man als kalten Mond verstehen kann.

Ebenso im Dienst der Atmosphäre steht der Auftritt von sechs Schauspielern mit Down-Syndrom. Befremdlicherweise setzt Perceval sie unter anderem ein, um Beckmanns Alpträume vom Krieg darzustellen. Und seine Fantasie von einem Auftritt im Zirkus.

Die sechs SchauspielerInnen gehören dem "Eisenhans"-Projekt an, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen Theater machen. Es war der erste Auftritt von "Eisenhans"-Schauspielern in einer Inszenierung auf der großen Bühne des Thalia. So gut gemeint die Kooperation gewesen sein mag, in Percevals Inszenierung hat sie einen faden Beigeschmack. Ferner hat der Abend das Problem des Borchertschen Textes, der oft wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die Tonlage bleibt gleich, die Sprachbilder sind mitunter sehr plakativ. Ein dramatischer Bogen ist kaum zu erkennen. Percevals atmosphärische Dichte ist großartig, die Längen des Textes aber kann sie nicht überstrahlen.

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