piwik no script img

Dramaturgie – langweilig wird sie nie

■ Robert Redford inszeniert in Quiz Show den Sündenfall der Glotze und der Realität

Das Ausmaß der öffentlichen Empörung angesichts des ersten Fernsehskandals der USA ist leicht auszumalen. Robert Redford sieht in ihm gar den „Anfang vom Ende der Unschuld“. Damals hatte in dem Quiz „Twenty One“ der Sender NBC höchstselbst dafür gesorgt, den Hochschullehrer und Sproß einer honorigen Intellektuellenfamilie Charles van Doren gegen jeden Gegner bestehen zu lassen – der Publikumsliebling wurde über alle Fragen im voraus informiert.

Donnernde Kritik am Fernsehen und seinem Einfluß zu üben, zumal wenn es um die Manipulation der Wirklichkeit geht, hat im Kino Hochsaison. Doch anstatt in den Kanon derer einzufallen, die die unreflektierte Übernahme dieser Manipulationen der Zuschauer beklagen, geht es Redford in Quiz Show gerade um den Verlust von Vertrauen in die medial vermittelte Wirklichkeit. Um so ähnlicher sind sich beide Ansätze dagegen in der befürchteten Auswirkung: dem Verlust von Realitätsbewußtsein.

Dennoch wird in Quiz Show der eigentliche Fernsehskandal von 1957 eher unspektakulär inszeniert. In seiner Auseinandersetzung mit dem Massenmedium, so ließe sich spekulieren, hat Redford jenen Betrug am Zuschauer als eine Übersteigerung der tatsächlich ständigen Relevanz von Filmästhetik im Fernsehen erkannt - als Ausformung der stets präsenten Inszenierung aller TV-Beiträge, die dem Grundprinzip des Unterhaltungsfernsehens der Unterhaltung eigen ist. So kann mit Quiz Show der gängigen Forderung nach Authentizität die Einsicht entgegengehalten werden, daß das Fernsehen nicht hinter seine Bedingung zurück kann, Realität zu erzeugen.

Eindeutig aber gilt Redfords Interesse mehr den traditionellen Fragen nach Integrität und Schuld sowie der Rolle des Charles van Doren als bildungsbürgerlichem Komplizen der Verschwörung zum Wohle des Publikums. Wie schon in Oliver Stones Natural Born Killers stehen auch hier keineswegs die Medien im Zentrum, sondern vielmehr die Sorge um Amerika – Quiz Show zielt darauf ab, die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Vertrauensverlustes an Einzelpersonen zu verdeutlichen. Dabei sollen sich, wie bereits in Redfords früheren Filmen, Erklärungen zu den Hauptfiguren vor allem über Einblicke in Familienstrukturen ergeben, denen immer auch Stellvertreterfunktionen zukommen. Geradezu zwangsläufig verbleibt für Familienstudien diesmal allerdings weniger Raum; denn die mit Ankündigungen wie „ein spannender, zorniger Film“ geschürten Erwartungen verlangen unvermeidlich nach dem empörenden Medienskandal, welcher seinerseits Platz und Aufmerksamkeit beansprucht. So wird Redford dann doch in jene hehre Anklägerrolle gedrängt, die derzeit Beachtung und volle Kinosäle verspricht.

Jan Distelmeyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen