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Archiv-Artikel

SPORTARTEN ENTDECKEN UND DANN EIN BISSCHEN EDELANARCHISMUS Dr. No-No scharf gedichtet

von JENNI ZYLKA

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Hertha ist lahm, Alba verliert andauernd, man tut gut daran, den sportlichen Lokalpatriotismus neu zu verteilen. Zum Beispiel auf die Berlin Bombshells, Wuchtbrummen auf Rollschuhen, und mit Paulina Pocket – klein, wendig, rothaarig, Brille – haben sie eine fantastische Jammerin. Wer nicht weiß, was das ist – ha, ich werde der Herbert Zimmermann des Roller Derby!

Also bitte schön: Zwei Teams, zwei Halbzeiten à 30 Minuten, die Jammerin jedes Teams trägt über dem Helm eine schnafte Badekappe mit einem Glitzerstern und versucht, sich innerhalb der Jam-Zeit von zwei Minuten durch die vier gegnerischen Blockerinnen hindurchzuwuseln. Für jede Spielerin, die sie ohne Foul überholt, gibt es Punkte, und als am Samstag in der Treptower Arena die Bombshells gegen die Hamburg Harbor Girls anrollen, ist Polly Pocket so fix, die fährt schon wieder hinten ans Pack heran, während Hater Skater, Heavy Miss Gale und Killing Zoe noch dem Blitz hinterherschauen. Dazu Bier, AC/DC, The Clash und The Hives, und falls man sich trotzdem langweilen sollte, kann man immer noch in den rechts und links anfeuernd fuchtelnden Tattoos schmökern.

Außerdem tun sich ganz neue Sponsorenmöglichkeiten auf: Wenn ich ein Feinstrumpfhosenhersteller wäre, würde ich schleunigst eine Bombshells-Netzstrumpfhose entwerfen, im Used-Look mit Rissen und Laufmaschen. Es ist so herrlich, eine neue Sportart zu entdecken, seit meiner kurzen Liaison mit dem Sumoringen – zu diesen Zeiten rannen mir Vokabeln wie Yokozuna, Sekiwake und Ozeki flüssig von den Lippen, heuer kann ich nur noch Ama Ebi und Tekka Maki – war ich nicht mehr so aufgeregt. Am Samstag gewannen die Bombshells überlegen, und wenn sie auch bei der ersten Deutschen Meisterschaft im letzten Jahr knapp den Stuttgart Valley Rollergirlz unterlagen, so ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht, oh no! Beziehungsweise „Oh no-no“, eine der Schiedsrichterinnen hieß „Dr. No-No“, und das war – nach Catherine Beat-Her Bonez und Susi Blockwell – mein Lieblingskampfname.

Und das Wochenende hatte eh schon so gut angefangen, mit den linken Buchtagen im Mehringhoftheater nämlich, bei denen mal wieder Erich Mühsams gedacht wurde, des scheeläugigen, zottelbärtigen „Edelanarchisten“, über den, so anekdotete Mühsam-Show-Mitglied und Sterne-Sänger Frank Spilker, einst über eine gemeinsame Lesung mit dem zeitgleichen Bonmot-Grafen Ludwig Scharf kolportiert wurde: „Scharf dichtet mühsam. Mühsam dichtet scharf.“ Etwas später gab es den Max-Hoelz-Marsch als hübschen Disco-Fox, und wieder ist man begeistert, wie rechtschaffen scharfzüngig diese ganz und gar analoge Boheme doch war. Und weil die Mühsam-Zoten ansonsten vor allem von Harry Rowohlt gerissen wurden, kam man den ganzen Vortrag über aus dem Grinsen nicht heraus.

Allerdings fehlen dieser Welt der lustigen Männer die Frauen, außer als angeschwärmte Gedichtsadressatinnen kommen sie bekanntlich kaum vor, somit war die Parallelwelt der furchtlosen Rock-’n’-Roller-Derby-Damen ein passender Ausgleich.