Dortmunds Stratege Nuri Sahin: Einzige Option im Krieg der drei
In Deutschland wird Dortmunds Stratege Nuri Sahin gefeiert. Anders in der Türkei. Da ist Arda Turan der kreative Star. Nuri Sahin muss sich hinten anstellen.
Der Tenor ist einhellig: "Wir müssen gewinnen." Für die stolze Fußballnation Türkei geht es heute im Istanbuler Sükrü-Saracoglu-Stadion beinahe schon um die letzte Chance auf die Qualifikation für die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine. Genau wie ihr Gegner, die Österreicher, die am Freitag zu Hause mit 0:2 gegen Belgien verloren haben, hat sich die Mannschaft des niederländischen Trainer-Weltenbummler Guus Hiddink eigentlich schon selbst aus dem Favoritenkreis der in der Spitze nun nicht gerade dicht besetzten Gruppe A gespielt.
Zwei mehr oder weniger unansehnlichen Arbeitssiegen in Kasachstan (3:0) und gegen Belgien (3:2) folgten im Oktober das desaströse 0:3 in Berlin gegen Deutschland und das noch viel desaströsere 0:1 bei Berti Vogts Aserbaidschan. Zwar ist der Kampf um Platz zwei hinter den an der Tabellenspitze längst enteilten Deutschen noch offen - Belgien und Österreich liegen mit jeweils sieben Punkten einen Zähler vor der Türkei -, doch angesichts des ausgeglichen schwachen Gegnerfeldes dahinter ist es wenig angeraten, Ausrutscher der Konkurrenten um Qualifikationsplatz zwei einzuplanen. Guus Hiddink kehrt also den inneren Rinus Michels heraus: "Das wird ein Krieg zwischen drei Teams."
Die Hoffnungen der Rot-Weißen stehen und fallen mit Arda Turan. Der 24-jährige Mittelfeldspieler ist Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft, Vorbereiter und Vollstrecker. Beim türkischen Spitzenklub Galatasaray Istanbul ist das Eigengewächs bereits in jungen Jahren Kapitän. Arda, so sein Rufname, nicht der in der deutschen Bundesliga so überschwänglich gelobte, ja, von manchem Sportschreiber in Einsteinsche Genialitätssphären gehobene Dortmunder Nuri Sahin, ist der wichtigste Spieler für Trainer Guus Hiddinks. Arda soll es also richten.
Als der gedrungene 1,76-Meter-Mann im vergangenen Oktober das Training am Rande des Qualifikationsspiels gegen Deutschland wegen einer langwierigen Leistenverletzung abbrechen musste, stöhnte Hiddink erst zweckoptimistisch: "Wir versuchen alles, um ihn fit zu kriegen." Dann realistischer: "Es sieht nicht gut aus." Bis zu: "Er ist heute morgen abgereist." Die japanisch-zögerliche Informationspolitik des Übungsleiters war auch der Erwartungshaltung der Türken geschuldet - Arda ist dank seiner beiden Treffer in den ersten beiden Qualifikationsspielen noch immer bester Torschütze auf dem von den Fans so heiß ersehnten Weg nach Polen und in die Ukraine.
Sahin dagegen steht, trotz vorzeigbarer sechs Tore und acht Vorlagen für den Tabellenführer der Fußball-Bundesliga in dieser Saison und trotz der von diversen Blessuren durchzogenen und nicht gerade überragenden Saison Ardas weiter in der zweiten Reihe. Im Oktober beim Spiel gegen Deutschland durfte der 22-jährige Borusse den angeschlagenen Star aus Istanbul vertreten.
Auf den Überflieger der Bundesliga angesprochen, wich Hiddink damals aus und redete Sahin klein: "Ich möchte da gar nicht einen besonderen Spieler herausheben, wir haben eine gut besetzte Mannschaft und müssen Arda aus der Mannschaft heraus mit vereinten Kräften ersetzen." Sahin spielte dann im Olympiastadion von Beginn an, wurde nach 78 eher durchschnittlichen und relativ unspektakulären Minuten ausgewechselt. Es war sein bisher einziges Spiel in der EM-Qualifikation. Heute soll der gebürtige Lüdenscheider aber eine erneute Bewährungsmöglichkeit erhalten. Doch wieder ist er nur zweite Wahl. Er soll den verletzten Stammspieler Emre Belözoglu ersetzen.
Für den wieder genesenen Arda hingegen geht es nur um eins: den Weg nach Europa - nicht nur mit der Nationalmannschaft. Er sucht einen neuen Verein. Ein großer Klub soll es sein für den hoch talentierten Publikumsliebling, am liebsten sein Traumverein, der FC Liverpool. In regelmäßigen Abständen überschlägt sich der türkische Boulevard mit neuen Gerüchten um den Verbleib des fußballspielenden Heilsbringers, neue angebliche Interessenten werden in den Hut geworfen, von Manchester United über Chelsea bis zum FC Barcelona. Selbst der FC Bayern wird hier und da erwähnt. Konkrete Stellungnahmen der Vereine werden vergeblich gesucht. Jetzt soll Atletico Madrid Interesse bekundet haben. "Wir haben viele Optionen", ist in diesem Zusammenhang ein gerne zitierter Satz aus dem Munde von Ardas Berater Ahmet Bulut.
Viele Optionen - diesen Luxus hat Trainer Guus Hiddink nicht. Für ihn ist einzig Arda der Schlüssel zum Erfolg. Und Nuri Sahin muss sich weiter hinten anstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen