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Dorothee Bittscheid über geschlossene Heime„Hohe Bestrafungslust“

Dorothee Bittscheidt hat 1980 in Hamburg die geschlossenen Heime abgeschafft. Dass der Senat heute Kinder in die Haasenburg schickt, nennt sie eine Katastrophe.

Die Bedingungen in der Haasenburg sind schlimmer als im Jugendknast, sagt Dorothee Bittscheidt. Bild: Ulrike Schmidt
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Bittscheidt, Sie haben 1980 Hamburgs geschlossene Heime abgeschafft. Heute schickt die Stadt 13 Jugendliche nach Brandenburg in die Haasenburg. Wie finden Sie das?

Dorothee Bittscheid: Eine Katastrophe. Bei geschlossener Unterbringung (GU) wird persönlich Verantwortung wahrgenommen. Durch die Person, die sie verfügt und durch die Institution, die das abdeckt. Wenn ein Sozialpädagoge des Familieninterventionsteams (FIT) ein Kind in die Haasenburg schickt, muss er wissen, was das bedeutet. Das gilt auch für die Vorgesetzten bis zu den Politikern, die das genauso verantworten.

Was ist Ihr Eindruck?

Auch wenn die Informationen lückenhaft sind und die Jugendlichen, die berichten, immer des Lügens bezichtigt werden, ist das Bild klar: Die Haasenburg wirkt wie eine Institution, die ausdrücklich das Recht auf persönliche Autonomie und damit ein Grundrecht nimmt. Und zwar nicht nur durch den Einschluss selbst, sondern durch rigide körperliche Begrenzung, Demütigung und Entzug der simpelsten Rechte, die jeder Mensch und jeder Jugendliche hat.

Bremen schickt schon seit Ende 2010 keine Kinder mehr hin.

Dem sollte Hamburg unbedingt folgen. Aber ich sage, es darf gar keine geschlossene Unterbringung geben. Alle geschlossenen Heime sind Institutionen der Unterdrückung und Gewalt. Das ist jedem Soziologen klar. Wenn Sie Einschluss erlauben, entwickeln sich solche Praktiken. Ich habe 1980 in Hamburg die Heime mit ihren Karzern besichtigt und die Akten gelesen. ’Wulfsdorf‘, ’Osdorf‘, ’Hütten‘, auch dort gab es massive Gewalt.

Es heißt, GU sei „Ultima Ratio“.

Das ist Quatsch. Es ist ja nun nicht so, dass es Jugendliche gibt, mit denen man nicht anders tun kann, als sie in die Haasenburg zu schicken. Das glaubt keiner.

Die Kinder wären delinquent und das gefährde ihr Wohl.

Dass der Einschluss mit dem Kindeswohl begründet wird, finde ich blasphemisch. Die Bedingungen in der Haasenburg sind schlimmer als im Jugendknast. Was dort gemacht wird, Verhaltenskonditionierung unter Zwang, ist, wenn ich das richtig verstehe, die Methode, die den Jugendwerkhöfen unterstellt wurde, wobei auch die westdeutschen geschlossenen Heime nicht anders funktioniert haben und funktionieren.

Der Senat kann nicht sagen, das, was die damals gemacht haben, verurteilen wir aufs Schärfste, nutzen aber jetzt ein Heim, das in Brandenburg liegt und nach gleichen Gesetzmäßigkeiten gestaltet ist. Das ist so falsch wie zynisch. Der Senat muss das stoppen.

Der Sozialsenator schickt eine Aufsichtskommission.

Dorothee Bittscheid

70, SPD-Mitglied. Sie war 1980 Landesjugendamtsleiterin in Hamburg und 1993 Sozial-Staatssekretärin in Schleswig-Holstein. Von 1999 bis 2005 war sie Präsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP).

Er könnte sagen, ich stelle das ab.

Wie haben Sie das geschafft?

Ich übernahm 1980 die Leitung des Amtes für Jugend. Damals hatte Hamburg über 3.000 Heimplätze, darunter auch geschlossene. Die Heimreform war eine Bewegung von Unten. Erzieher waren unzufrieden und baten den damaligen Senator, Jan Ehlers (SPD), die Heimerziehung aufzuarbeiten. Es kam zur „Markthallen-Veranstaltung“, wo er versprach, geschlossene Heime abzuschaffen. Damals wurde in Altengamme ein geschlossenes Heim mit 60 Plätzen gebaut. Die Pläne stammten von 1968, als man Jugendproteste fürchtete. Ich sah mir den Rohbau an: Die Fenster waren vergittert, es gab fünf Meter hohe Mauern und einen Wall mit Stacheldraht. Das war mit der beginnenden Heimreform unvereinbar.

Aber das Haus steht noch.

Ja, es wurde als sozialtherapeutische Anstalt für Erwachsene von der Justizbehörde übernommen. Dazu gab es eine Drucksache, die festlegte, auch die alten geschlossenen Heime aufzugeben.

Das gab keinen Aufstand?

Es gab heftige Konflikte in der Behörde selbst. Schließlich ging es um eine Art Prestigeprojekt. Und es gab Kritik von den Jugendrichtern und der Polizei. Aber seither war klar, die Behörde weist nicht mehr geschlossen ein.

Haben Sie Jugendliche in Heime außerhalb geschickt?

Nein, das habe ich während meiner Amtszeit nicht erlaubt. Erst später, als es die sogenannten Crash-Kids gab, setzte das ein.

Welche Alternativen hatten Sie?

Viele Erzieher und Heimleiter waren mit mir der Überzeugung, dass sich durch die Abschaffung der GU die Heimlandschaft insgesamt verändert. Weil es diese letzte Stufe, in die immer abgeschoben wurde, nicht mehr gab. Deshalb mussten sich alle ändern. Wir haben dann die offenen Heime in betreute Jugendwohnungen umgewandelt und die Heimschulen abgeschafft. Die Jugendlichen besuchten Schulen im Stadtteil und führten ein relativ normales Leben.

Aber was tun mit Crash-Kids?

Es gab Alternativen. Am meisten überzeugt bin ich von einer intensivpädagogischen Begleitung in Akutsituationen, die auch mal 24 Stunden pro Tag sein kann. Dann gab es Projekte wie reisende Schule und andere erlebnisintensive Herausforderungen.

Warum kamen die in Verruf?

Wann immer Jugendliche mehrere Straftaten begangen hatten und man ihrer nicht habhaft wurde, hieß es in den Medien, das liege daran, dass wir keine geschlossenen Heime haben. Was nicht mit Einschluss verbunden war, wurde diskreditiert. Das sei zu sanft. So könne man mit denen nicht umgehen. Die Bestrafungslust, die diese Kinder angeht, ist erschreckend hoch.

Woran machen Sie das fest?

Delinquenz ist als Indikation für geschlossene Unterbringung unglaublich angewachsen. Dabei handelt es sich im Grunde um eine unbegrenzte Freiheitsstrafe. Wir haben eine Täterdatei, wir haben Fallkonferenzen, in denen die Polizei das Sagen hat, und wir haben mit dem FIT ein Spezialjugendamt für delinquente Kinder, das besser ausgestattet ist als andere Jugendämter. Dabei sagen Kriminologen eindeutig, Jugenddelinquenz ist, selbst wenn sie wiederholt begangen wird, jugendtypisch. Sie ist normal.

Was schlagen Sie vor?

Ich bin für die Abschaffung des FIT und die Rückverlagerung dieser Stellen an die unterbesetzten Jugendämter. Die Polizei hat andere Aufgaben. Sozialpädagogen, davon bin ich überzeugt, sind in der Lage, Delinquenz in die Biografie eines Jugendlichen einzuordnen. Eine Entdramatisierung ermöglicht, dass man mit ihm reden und seine Lebensweise und Perspektiven konstruktiv reflektieren kann. Die Einweisung in die GU zu stoppen, wäre dafür ein entscheidendes Signal.

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4 Kommentare

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  • DD
    Dennis Dalle

    Hallo "reorient"

     

    Ich erlaube mir, Inhnen zu antworten. Es wurde auf "Julia-Heim", ein Protokoll über ein totes Mädchen veröffentlicht, welches am 31.05.2008 verstarb. Dieses Protokoll war von der Schilderung so gravierend, das eigentlich die Staatsanwaltschaft ermitteln müsste.

    Viele Anti-Aggressions-Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche, in der Haasenburg GmbH erlebten, sind unserer Meinung nach, Straftatbestände.

    Wir erleben in der öffentlichkeit, das vergangene Geschehnisse, keinen Interessieren.

    Zieht man Rechtsanwälte hinzu, kostet eine 45min Beratung durchschnittlich 75€.

    Wer kann sich das leisten?

    Dies schreckt viele Betroffene ab, obwohl soviel Geld, an diesen Jugendlichen, die Haasenburg verdiente.

    Wir wünschen uns von Herzen, das uns Leser unterstützen würden.

    Bitte, helft uns... Dieses Unternehmen "Haasenburg", muss Verantwortung für "Straftaten" übernehmen...

    Todesfälle in dieser Einrichtung, müssen aufgeklärt werden... Dieses Recht hat jedes verstorbene Kind!!!!!!!!

  • R
    reorient

    Liebe Taz, ich wuerde gerne wissen, wer die Internetseite "Trauma-Heim" eines der Opfer dieses Systems abgeschaltet hat, Sie hatten in einem vorhergehenden Artikel darueber berichtet. Des weiteren moechte ich wissen, wie es zu dieser Art von Zensur kommen kann und ob gegen diese Beschraenkung der Redefreiheit vorgegangen wird.

  • DD
    Dennis Dalle

    Danke... Manchmal genügt ein schlichtes Wort!

    Wir benötigen all Eure Hilfe, für diese Kinder und Jugendlichen... Es sind nicht diese "Bösen Wesen", wie sie oft dargestellt werden. Vielfach werden diese Kinder und Jugendlichen so dargestellt, damit sie in dieses Konzept passen, zwecks "geschlossene Unterbringung"!

    Es sind wirtschaftliche Interessen, die dieses Monopol ermöglichen. Selbst wenn ein Kind oder Jugendlicher, noch keine Eigen- bzw. Fremd-Gefährdung darstellen, nach dem Aufenthalt in der Haasenburg, zeigen sie dies.

    Schaut euch die Kids an, die erst richtig, nach dem Aufenthalt in der Haasenburg straffällig geworden sind und Haftstrafen antreten mussten.

    Es sind leider viele.

    An die Haasenburg GmbH:"Zeigt uns bitte. wie vielen Kindern und Jugendlichen, ihr nachweislich helfen konntet, die heute ihren Alltag bestreiten"!

    Wir kennen nur viele, die in Gefängnissen Haftstrafen absitzen, unter traumatischen Erlebnissen leiden, bzw. Tod sind!!!

    Wir möchten erreichen, das die Haasenburg GmbH, sich ihrer Verantwortung bewusst wird, bereit ist, einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen, um nachweislich, eine "Kindeswohlgefährdung", zu bestätigen.

    Weiterhin möchten wir, das die Haasenburg GmbH, sich bereit erklärt, einen Fond einzurichten, wo ehemalige Betroffene, Mittel, für therapeutische Traumatas, zur Verfügung gestellt bekommen.

    Kein Kind und Jugendlicher, der in der Haasenburg GmbH gewesen ist und wie Julia berichtet hat, sollte bei Krankenkassen betteln müssen.

    Wer Millionen an diesen Kids verdient, sollte auch in Verantwortung genommen werden, die unserer Ansicht, gegen das Grundgesetz, nachweislich verstossen haben!

    Vor ca. 70 Jahren, wurden Bücher verbrannt und heute, versucht man Menschen "mundtot" zu machen, indem man eine Homepage sperrt.

    "Trauma-Heim", von Julia, war eine Plattform, wo Wahrheiten veröffentlicht wurden.

    Wollen wir uns damit begnügen, das eine "Haasenburg GmbH", weiterhin Millionen verdient, aber Kinder und Jugendliche, konditioniert mit knalleffekt, auf die Gesellschaft vorbereitet werden?

    Liebe Kids: " Die nächsten Schlagzeilen, sind euch gewiss=!!!

  • S
    stimmviech

    Die traurige Wahrheit: Frau Bittscheidt hat Illusionen über die " offene " Therapierbarkeit kindlicher Delinquenten.Gleichzeitig hat sie recht, wenn sie jeder geschlossenen Einrichtung faschistoide Entwickung in Richtung Jugendwerkhof unterstellt.Es wäre übrigens interessant,wenn die taz mal den Hintergrund des Haasenburg-Betreibers Dietz recherchieren könnte.Übrigens danke für die Berichterstattung zu dem Thema,außerhalb der taz gibt es da nichts.