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Doris AkrapGeraschelDie Opposition hat gewonnen. Aber das Thermometer steigt

Foto: privat

Rechtzeitig zum Beginn der ersten Sommerferien in Deutschland kann die Kolumnistin das Ergebnis des Wahlkrimis verkünden, der seit Mitte Mai diese Kolumne, ihre Le­se­r*in­nen und die kleine Adria-Gemeinde Baška Voda an der dalmatinischen Riviera in Beschlag genommen hat: Gewonnen haben der Rechtsstaat, die Demokratie und die Aussicht auf ein Ende der Betonisierung, der Korruption, des verdörrenden Lebens der Küstenbewohner*innen.

Von Tou­ris­t*in­nen unbemerkt ereignete sich vergangenen Montagmorgen Historisches im Jugendzentrum hinterm Fußballstadion mit Blick aufs Meer: Der neue Gemeinderat konstituierte sich; zum ersten Mal seit der Gründung des unabhängigen Kroatiens nicht unter der Mehrheit der konservativen Staatsgründungspartei HDZ. Das Oppositionsbündnis wird nach drei wegen Unregelmäßigkeiten aufseiten der amtierenden Regierung wiederholten Urnengängen nicht nur die Mehrheit im Gemeinderat, sondern auch den Bürgermeister stellen.

So wie sich über den gesamten Wahlkrimi ein Mafiafilm zog, so mafiafilmesk war seine Schlussszene, die zugleich Anfangsszene der neuen Ära ist: Weil die Beschwerde des alten Bürgermeisters gegen das Wahlergebnis noch vor dem Verfassungsgericht verhandelt wurde, saß der neu gewählte Bürgermeister nur als einfaches Gemeinderatsmitglied am Tisch, während der abgewählte Bürgermeister dort noch einmal als breitbeiniger Bürgermeister thronte. Er hätte sich krank melden können oder vor den nicht unwahrscheinlichen strafrechtlichen Ermittlungen auf einer seiner Jachten in sicherere Gewässer fliehen können. Aber nein, er saß wie ein Mahnmal am Rand des Tisches: Ich bin vielleicht abgewählt, aber ich bleibe die Macht im Hintergrund. Die Kapitalinteressen internationaler und nationaler Player, die er hier jahrzehntelang bediente, werden nicht abziehen, nur weil die Gemeinde neue An­sprech­part­ne­r*in­nen hat.

Der neue Gemeinderatsvorsitzende aber ließ sich davon nicht beeindrucken und gestaltete seine Antrittsrede als radikale Kampfansage an das alte Regime: „Baška Voda war 32 Jahre eine einsame Insel. Der Krieg ist zu Ende“, verkündete er in Richtung der Nachbargemeinden. „Die Macht des Großkapitals ist vorbei“, in Richtung der eigenen Gemeinde, für die umgehend eine Änderung des Raumplans vorgenommen werden soll, um den Bau weiterer hochgeschossiger Gebäude zu untersagen.

Am Nachmittag gab das Verfassungsgericht grünes Licht und der neue Bürgermeister wurde offiziell ins Amt gesetzt. Gleichzeitig begann die Saison mit voller Wucht: Die ersten „Kanader“ (Canadair CL 415) löschten Waldbrände, Einheimische und Tou­ris­t*in­nen wurden evakuiert und die ersten Hubschrauber fischten halb und ganz tote Tou­ris­t*in­nen aus dem Meer und den Gebirgsdolinen. Der neue Bürgermeister verkündete, dass er mit seiner Arbeit sofort beginne und sich nicht – wie es bisher Usus war – in die Sommerpause verabschieden werde.

Hier ­erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche: „Grauzone“ Erica Zingher

Unterdessen wurde es heiß, immer heißer, extrem heiß. Die durchschnittliche Temperatur in dieser Gegend lag bis vor wenigen Jahren bei 25 Grad. So kalt war es in diesem Juni nicht mal mehr nachts.

Das kleine Feuerwerk, das für den Sieg der Opposition über dem Meer gezündet wurde, soll das letzte gewesen sein. Zukünftig wird es unter Strafe gestellt. Ein winziger Schritt. Währenddessen macht die Copernicus-Karte mit dem dunkelrot gefärbten Mittelmeer dieser Tage die Runde. Auch die Adria ist bis zu 5 Grad wärmer als durchschnittlich.

Ich bin vielleicht abgewählt, aber ich bleibe die Macht im Hintergrund

Die Versiegelung und den Filz der letzten 32 Jahre aufzubrechen, ist der eine, sowieso schon gigantische Job der neuen Regierung. Der Anstieg der Temperatur des Wassers und der Luft übersteigt womöglich alles, wozu 13 Gemeinderatsmitglieder bei bestem Willen imstande sind.

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