: Dorfjugend sieht Ufos
Und schon wieder Schwarz-Rot-Gold: Wie die so genannte „Deutschlandstaffel“ Hobbyläufer in NRW mobilisiert
HENRICHENBURG taz ■ Es ist Samstag, gegen Mitternacht, die ländliche Gemeinde Henrichenburg schläft. Die Luft ist mild. Nebel steigt über den Feldern auf und auf jede Straßenlaterne kommen fünf Sterne. Nur unter der Autobahnbrücke der A2 herrscht reges Treiben. Autos kommen an, Menschen mit neonfarbenen Leibchen begrüßen sich, einige machen Witze. Andere machen für diese Uhrzeit seltsame Gymnastikbewegungen, ein Hund bekommt noch einmal Wasser, eine Fahrradbeleuchtung wird repariert. Dann geht es los. Die nächste Etappe der „Deutschlandstaffel“ beginnt.
Über 3.600 Kilometer, aufgeteilt in 225 Etappen, wird der goldfarbene Staffelstab von unzähligen Laufbegeisterten in nur zwei Wochen einmal rund um Deutschland getragen. 2004 war die Premiere dieses etwas anderen Laufereignisses, das vor allem vom Engagement und den Spenden der Beteiligten lebt. Am Samstag fiel in Wuppertal um 16 Uhr der Startschuss zur zweiten Deutschland-Runde, dieses Jahr zur Abwechslung im Uhrzeigersinn.
Als der „Güldene“, wie die Läufer ihren Staffelstab nennen, Sonntag Nacht unter der Autobahnbrücke in Henrichenburg ankommt, hat er also schon gut 60 Kilometer hinter und noch tausende vor sich. Die nächsten Etappen führen 12,8 Kilometer nach Marl-Sinsen und weitere 8,3 Kilometer nach Haltern am See. Es geht vorbei an Weizen- und hohen Maisfeldern, dunklen Wäldern und durch stille Ortschaften. Auf den Feldwegen beleuchten nur die kleinen tanzenden Lichtkegel der Stirnlampen den Weg, die Fahrradbeleuchtung ist schon wieder ausgefallen. „Hey ihr Ufos!“ ruft die über den ungewohnten Anblick verwunderte Dorfjugend den Läufern zu. Hunde bellen. Mischlingsrüde Charly, der mit seinem Besitzer Ralf Meisterernst heute Nacht die mehr als zwanzig Kilometer bis nach Haltern läuft, kümmert das wenig. Unbeeindruckt nimmt der zwölfjährige Hund Kilometer um Kilometer unter seine Pfoten. „Charly will nur laufen, etwas anderes interessiert ihn nicht“, sagt Meisterernst.
Viele der Läufer sind in Lauftreffs organisiert, einige echte Marathonprofis, die sich, während sie locker durch die Nacht laufen, über Marathonzeiten um die magische Vier-Stunden-Grenze unterhalten. Aber es gibt auch etliche, die einfach nur mal so dabei sind. Ihnen kommt das moderate Lauftempo von durchschnittlich zehn Kilometern pro Stunde entgegen. Ums Gewinnen geht es hier nicht, dabei sein ist tatsächlich alles. Mitmachen kann bis zum 6. August daher noch jeder, der sich unter www.deutschlandstaffel.de für eine Etappe anmeldet.
„Leider sind noch nicht alle Etappen besetzt“, erzählt Dieter Tjaden, der mit dem großen Camper „Staffomobil“ die 3.600 Kilometer begleitet und unter anderem dafür sorgt, dass die tatsächlichen Übergabezeiten nach jeder Etappe sofort ins Internet gestellt werden. Nur so wissen die folgenden Läufer, wann genau sie am vereinbarten Wechselpunkt sein müssen, denn die im Internet angegebenen Zeiten sind nur Richtwerte. Wie die Staffel also zum Beispiel nach gut 1.600 Kilometern am 29. Juli um 13 Uhr in Chemnitz im Zeitplan ist, kann heute noch niemand voraussagen. Eine Differenz von einer Stunde zu den angegebenen Zeiten wird eingerechnet.
So ist also alles im Limit, als nachts gegen halb drei – vierzig Minuten später als geplant – der Staffelstab und mit ihm die sechs Läuferinnen und Läufer, der Fahrradbegleiter und Hund Charly in Haltern am See ankommen. Dort nur ein kurzes Gespräch, ein Foto, und weiter geht es für den „Güldenen“ auf seiner langen Reise. EVA KALWA