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15 MINUTEN TEXT Literatur und Musik gab es beim dreitägigen LAN-Festival im HAU 2

Einen Höhepunkt bot Dalibor Markovic, als er die Worte rhythmisch durchknetete

VON KATHARINA GRANZIN

Man muss sich nicht allzu viele Sorgen um die Zukunft der deutschen Literatur machen, konnte man denken, wenn man sich den schon am ersten Abend ausverkauften Saal des HAU 2 so ansah. Ihr Publikum hat sie jedenfalls. Das drei Tage währende LAN-Festival für junge Literatur und Musik, organisiert vom Berliner Label Kook, fand 2007 schon einmal statt. In diesem Jahr nun gab es wieder Geld vom Hauptstadtkulturfonds, und Kook, unterstützt vom Internetmagazin goldmag.de, nutzte es, um einen Haufen junger bis mitteljunger KünstlerInnen aus dem weiten Feld zwischen Wort und Musik einzuladen. Den Rekord als bisher jüngste Teilnehmerin dürfte die 17-jährige Helene Hegemann halten, die als Drehbuchautorin und Regisseurin schon für beträchtliches Feuilletonraunen gesorgt hat. Und auch einige gut eingeführte Namen konnte das diesjährige LAN verbuchen, etwa Jenny Erpenbeck, Jochen Schmidt und Kathrin Röggla.

Das Schöne an Festivals ist ja die Ausnahmesituation, das eigenartige Rauschen, das sich einstellt, wenn viel Unterschiedliches, das im normalen Leben eher separat wahrgenommen wird, gleichzeitig aufs Hirn einwirkt und dieses, darauf angewiesen, auf Gedeih und Verderb Zusammenhänge herzustellen, dann milde überhitzt wird – oder eben zur Entlastung auf Grundrauschen schaltet. Der sportliche Lesungsrhythmus, den die LAN-Organisatoren vorgeben, unterstützt den Prozess des milden Überhitzens, denn jeder Autor hat nur 15 Minuten Zeit. Dieser Herausforderung wird auf unterschiedliche Weise begegnet. Wer keinen gebrauchsfertigen Viertelstundentext präsentiert, sondern einen Roman mitführt, kann froh sein, wenn es darin etwas mit Sex und Humor gibt, denn das ist zum Vorlesen dankbar. Diese Strategie wählen Thomas Klupp und Thomas von Steinaecker. Steinaecker weist noch belustigt darauf hin, dass sein Roman „Wallner beginnt zu fliegen“ genau wie der von Klupp – der viel gerühmte „Paradiso“ – in der Oberpfalz spiele. Noch lustiger aber ist, dass es in beiden gewählten Fünfzehnminutenausschnitten um Sex im Fernsehen geht. Und sicher tragen die beiden Autoren auch nicht zufällig denselben Vornamen und sind nicht zufällig im selben Jahr geboren.

Vielleicht liegt es an dieser seltsam geballten Doppelung, mag aber auch mit dem allgemeinen Festivalrauschen zu tun haben – denn sie tun im HAU doch nichts ins Bier? –, dass man im Laufe des Abends beginnt, auch andere Menschen doppelt zu sehen. Der Typ da vorne mit Jackett und Brille, sitzt der nicht acht Plätze weiter links noch einmal? Und auch der Große da im hellen Hemd scheint einen Klon zu haben, der, an der Wand lehnend, nachdenklich den Text auf einem Flaschenetikett studiert.

Jeder der auftretenden Künstler aber ist ein Solitär. Es gibt ein paar echte performative Höhepunkte, wie etwa den Beat-Boxer Dalibor Markovic, der die Worte auf eine sehr physische Art rhythmisch durchknetet. Originell, wenngleich recht hermetisch, ist auch der Versuch Martina Hefters, mit Hilfe expressiver Tanzeinlagen eine neue Form der Lyrikdarbietung zu entwickeln. Dass gute Lyrik, gut vorgetragen, prima ohne körperlichen Einsatz auskommen kann, bewies am Abend darauf Christian Schloyer. Zugleich lieferte das Festival manchen Beleg dafür, dass die Autorenlesung als performatives Format ihre Grenzen hat, dass SchriftstellerInnen von plötzlicher Öffentlichkeit überfordert sein können und im Vortrag eigener Texte zur Unterbetonung tendieren.

Manchmal passt auch das – zum Beispiel bei Lucy Fricke, die aus einem noch titellosen Roman las, in dem, wie sie erklärte, eine Reihe von Leuten ihr Leben stilecht an die Wand fahre. Frickes lakonische Lesung trug ihr einen Applaus ein, der ihr, hätte es so etwas gegeben, den Publikumspreis gesichert hätte. Die zwei Exemplare von Frickes vorigem Roman „Durst ist schlimmer als Heimweh“, die der Büchertisch bereithielt, waren im Anschluss flugs ausverkauft.

Der LAN-Gedanke, es nach der eher klösterlichen Atmosphäre des Literaturhörens jeden Abend mit einem Konzert so richtig krachen zu lassen, ist an sich sehr schön. Für manch einen wurde es dann doch recht spät. So klang es nicht einmal ironisch, als Jens Friebe, der mit seiner Band in der ersten Nacht als Letzter auftreten musste, sein zusammengeschnurrtes Publikum betrachtete und artig sagte: „Danke, dass ihr geblieben seid.“