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BONNAPARTDoppelt behindert

■ Rollstuhlfahrer und PDS-Abgeordneter im Bundestag

Behinderte haben es in der Gesellschaft nicht leicht. Der Bundestag ist dabei keine Ausnahme — lediglich Behinderte sind im Bundestag eine Ausnahme. Der PDS- Abgeordnete Ilja Seifert ist erst der zweite rollstuhlfahrende Parlamentarier in vierzig Jahren Volksvertretung. Er hat nicht nur die bauliche Enge des Provisoriums im Bonner Wasserwerk auszuhalten, die seine Bewegungsfreiheit einschränkt. Zur PDS zu gehören, scheint den Zwischenrufen nach zu urteilen im Bundestag wohl als zweite Behinderung zu gelten. Die Bundestagsverwaltung — von der Ankunft des Rollstuhlfahrers überrascht — will ihr möglichstes getan haben. Binnen Wochenfrist wurde ein (es trifft sich, daß die PDS ganz außen an der Wand plaziert wurde) Pult für den Abgeordneten aufgestellt — sonst nur ein Privileg der Fraktionsanführer in der ersten Reihe. Auch ein Mikrophon ist am Tisch angebracht, denn die Rednertribüne ist ihrer Stufen wegen unerreichbar.

Es überrascht nicht, wenn aus den Reihen der Unionsfraktion, deren parlamentarischer Geschäftsführer Bohl die PDS schlichtweg als SED anspricht — unterstützt von einem Parlamentsvize-Präsidenten Westphal (SPD), der sich weigert, dies zu rügen — manch derber Zwischenruf nicht nur die PDS-Parlamentarier im allgemeinen, sondern auch den Abgeordneten Seifert im speziellen zur Zielscheibe hat. „Wo ist er denn“, gegenüber dem in seinem Rollstuhl tief sitzenden Parlamentarier ist noch die harmlose Variante. Die Regierung tut ihr Teil dazu. Aus einem schroffen Nein bestand die gesamte Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Vogt (CDU) auf Seiferts Frage nach einer einkommensunabhängigen Grundversorgung für behinderte Menschen. Das Problem eines selbstbestimmten Lebens in Würde, das eben durch Sozialhilfe nicht gewährleistet sei, wie Seifert in zwei weiteren Fragen darzulegen versuchte, zerschellte am Staatssekretär. Der Gestus, dazu gehört keine böswillige Interpretation, zielte auch auf die Würde des Abgeordneten Seifert.

Es spricht für die Sensibilität der neuen Parlamentarier aus der Ex- DDR, daß der Theologe Wolfgang Ullmann (Grüne/Bündnis 90) später, zum Abschluß einer Debatte über das PDS-Vermögen, äußerte, er sei „erschrocken“. Er beharrte auf die Trennung von Mißtrauen gegenüber der PDS und praktizierter Menschenverachtung gegenüber einem PDSler. Er bedauere es, „daß ein Teil der Debatte in einem Stil stattgefunden hat, der dieses hohen Hauses nicht würdig ist. (...) Wenn wir diesen Stil unter uns nicht abschaffen, dann werden wir auch das Mißtrauen, das ich gerne aus meinem Herzen los sein möchte, nicht loswerden können.“ Gerd Nowakowski

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