Dopingvorwürfe gegen Pechstein: Die geheime Macht der Kugelzellen
Ein verändertes Blutbild soll nun schuld sein an Claudia Pechsteins merkwürdigen Werten. Sie ist jetzt zwar krank, aber es ist ein höchst willkommenes Leiden.
"Blut ist doch was ganz Merkwürdiges. Man mag es ungern fließen sehen, und dabei ist es schuld an allen Dummheiten auf der Welt." (Martin Andersen Nexö)
Claudia Pechstein ist krank. Das haben Mediziner am Montag bestätigt. Ihr Blut ist nicht in Ordnung. Sie leidet wohl an einer milden Form der Kugelzellenanämie. Dass mit dem roten Saft der Athletin aus Berlin etwas nicht stimmt, das ist vorher auch Dopingfahndern aufgefallen. Die Olympiasiegerin im Eisschnelllaufen wurde für zwei Jahre gesperrt. Schuld daran waren deutlich erhöhte Werte von Retikulozyten - den jungen roten Blutkörperchen.
Die Wissenschaftler, die am Montag im Haus der Bundespressekonferenz einen Intensivkurs in Blutanalyse abhielten, hatten ihr Seminar wie folgt überschrieben: "Der Fall Pechstein - aus medizinischer Sicht geklärt". Das ließ aufhorchen, hatten sich doch seit Monaten Experten ihre Gutachten um die Ohren gehauen und gegebenenfalls ihre Meinungen revidiert. Ein Glaubenskrieg war losgebrochen. Hie kämpfte die Pechstein-Fraktion um Rehabilitierung und Reinwaschung, da formierte sich ein Block, der sich auf das für Pechstein so ungünstige Urteil des internationalen Sportgerichts Cas berief.
Nach der Pressekonferenz, die durch den Veranstalter, die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, einen seriösen Anstrich bekam und von zig Fernsehteams aufgezeichnet wurde, dürfte das Lager Pechsteins regen Zulauf bekommen, denn der Präsident der Blutgesellschaft, Gerhard Ehninger, sagte im Brustton der Überzeugung: "Zu 99,99 Prozent" könne man sagen, dass Pechsteins Werte auf eine leichte Form ebenjener Kugelzellenanämie zurückzuführen seien und nicht auf Doping. "Die Waagschale hat sich zugunsten von Claudia Pechstein gesenkt", dichtete der Mediziner aus Dresden. Er dankte der Sportlerin ausdrücklich, dass "wir so in ihr Innenleben schauen dürfen". Noch vor Monaten hatte Ehninger sich skeptisch zum Fall geäußert, aber es habe mittlerweile eine Studie gegeben, die ein schärferes Licht auf die Blutdaten der Betroffenen werfe. "Ich mache keine Rolle rückwärts", rechtfertigte sich Ehninger, er betreibe als Wissenschaftler nur Aufklärung. Scharf griff er das Urteil des Cas an: "Für mich ist dieses Urteil Käse. Diese Ehrengerichte zerstören Sportkarrieren." Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie der Uni Lübeck, der auch auf dem Podium Platz genommen hatte, nannte das Urteil "einen einseitigen und parteiischen Bericht". Die Blutspezialisten hoffen nun auch auf eine juristische Wendung in der Causa. "Eine Neubeurteilung wäre sehr günstig für den indirekten Dopingnachweis", sagte Jelkmann.
Die deutsche Wintersport-Rekordolympionikin war nicht aufgrund eines direkten Nachweises von Epo oder Anabolika gesperrt worden, sondern wegen ihres ungewöhnlichen Blutbildes, das auf eine Manipulation mit dem Dopingmittel Epo oder einer anderen Substanz hinzudeuten schien. Doch nach Auswertung der Dopingdaten und zusätzlicher Blutkontrollen, die der Berliner Oberarzt Andreas Weimann analysiert hat, steht für jene, die angetreten sind, die Geheimnisse von Pechsteins Blut zu entschlüsseln, fest, dass ihre erhöhten Werte nicht auf eine Manipulation zurückgehen. Bei einer Kugelzellenanämie, an der angeblich auch Pechsteins Vater leiden soll, kommt es zu erhöhten Werten von Retikulozyten. Außerdem deuteten weitere Blutparameter auf die Diagnose "Hereditäre Sphärozytose" hin, denn ihr Blut sei weder dick gewesen, noch hätten sich die für Epo-Doping typischen Verlaufsmuster gezeigt. Weimann sprach von einem "eineindeutigen Beweis" der Anämie, mit der man, laut Aussage der Blutflüsterer, prima Leistungssport treiben kann. "Da kann man voll Sport machen", sagte Ehninger, "außer es tritt eine Auflösungskrise (der Blutzellen) auf."
Die Professoren schimpften dann noch ein bisschen auf "Dopingjäger" sowie "selbst ernannte Dopingexperten". Und Claudia Pechstein, die dem Seminar in Reihe eins gefolgt war? Sie sagte danach: "Jetzt sollten sich alle Zweifler meinen Fall noch einmal durch den Kopf gehen lassen und ihre Meinung revidieren." Sie bedankte sich ausdrücklich bei den Herren von der Blutgesellschaft. Claudia Pechstein ist jetzt zwar krank, aber es ist ein höchst willkommenes Leiden.
Leser*innenkommentare
Kugelzelle
Gast
Ich finde es erstaunlich,dass "führende Mediziner" Pechstein bescheinigen eine Kugelzellenanämie sei für die Blutwerte verantwortlich.
Ich bin selber von der Krankheit betroffen und habe eine Milzentfernung schon in jungen Jahren hinter mich bringen müssen. Wer hier eine Seite für oder gegen die Sportlerin einnimmt, sollte sich doch bitte erstmal mit der Krankheit als solches beschäftigen.
Eine Kugelzellenanämie / Kugelzellenanomalie bedeutet in erster Linie mal, dass eine Blutarmut (Anämie) vorliegt. Diese ist sicher nicht sonderlich zuträglich für einen Leistungssportler, zumal diese mit Epo etc. genau das Gegenteil erreichen wollen. Liegt bei Frau Pechstein eine schwache Form der Erkrankung vor, dann wäre dieser Punkt ja noch OK. D.h. kein Doping.
Schlimmer finde ich, dass eine Top Sportlerin zig mal in Ihrer Kariere untersucht wird. Ein wesentlicher Bestandteil sind Bluttests und die Sauerstoffaufnahme der roten Blutkörperchen. Hier muss sofort eine Anomalie der Erythrozyten festgestellt werden! Die Milz nimmt aufgrund der Filterung des Blutes und auf Grund des stärkeren Abbaus der Blutkörper deutlich an Größe zu. Auch dies muss bei einer Leistungssportlerin bemerkt werden. Erst nach einem vermeinlichen Dopingbefund hierauf aufmerksam zu werden und es dann erst an die Öffentlichkeit zu leiten ist schon etwas verdächtig. Ich finde es traurig, dass Sportler in solchen Situationen immer auf sehr dubiose Weise versuchen zu begründen wie es zu auffälligen Werten kommen konnte. Als wirklich betroffene Person ärgert es mich in diesem Fall ehrlichgesagt sehr.
Tipp für die Verfechter von Pechsteins Unschuld: Googlet doch bitte mal Kugelzellenanämie und lest die Symtome durch. Dann überdenkt mal wie das zum Leistungssport steht!
Mat
Gast
Liebe taz,
geht´s noch? Da wird einer Sportlerin Doping vorgeworfen. Und das ohne Beweis. Als Beleg galt nur ein einziger Blutwert. Nun kann dieser Blutwert mit einer Blutkrankheit erklärt werden. Es gibt also nicht den geringsten Hinweis mehr darauf, das die Athletin gedopt hat. Nicht einen einzigen Anhaltspunkt.
Das heißt nicht, das sie es vielleicht nicht doch getan hätte, aber er gibt keinerlei Hinweise darauf, von Beweisen ganz zu schweigen.
Und was amcht ihr Kollege bei der taz? Er müht sich nicht um die Rufrettung der Athletin, der von den Medien (auch von der taz) auf´s übelste beschädigt worden ist, sondern schreibt einen tendenziösen Artikel, der ihren Ruf gleich weiter beschädigt. Ich meine, was soll die gute Frau denn noch machen? Sie hat sich von seriösen und unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen lassen. Von Wissenschaftlern, die keineswegs von Anfang an von ihrer Unschuld überzeugt waren. Aber das kann einfach ncht sein, nicht wahr? Sie darf nicht unschuldig sein, denn wenn sie es ist, dann sind da eine große Anzahl von Journalisten schuldig geworden. Auch bei der taz. Mal ganz abgesehen von "Dopingexperten" wie Franke oder Sörgel. Die werden bis zum letzten Atemzug behaupten, das sie gedopt hatte, denn ab sofort sind ihre Urteile keinen Pfifferling mehr wert. Aber daran sind diese Leute und die CAS selber schuld.
Ich finde, ihr Kollege sollte sich schämen. Für die wirklich harte menschenverachtende Menschenjagd warenb bisher Blöd, Faz & Co. zuständig. Jetzt offenwichtlich auch die taz. Das ist mehr als nur sehr bedauerlich, das ist eigentlich kaum zu entschuldigen. Wie wäre es, wenn ihr Kollege es trotzdem mal versucht, sich zu entschuldigen?
ole
Gast
@Stefan
Nein, natürlich ist das nicht so.
Aber das macht nichts, ihre lange, lange Laufbahn wird mangels Wissen einfach auf die größten Erfolge reduziert, diese multipliziert und schon haben wir die unfassbare Über-Athletin. Und wenn man dann noch einen "schwerwiegenden" Defekt findet... na dann muß die doch "Dreck am Stecken" haben. So einfach ist das manchmal... leider.
Stefan
Gast
Es ist ja nicht so, dass die Pechstein alle Konkurrentinnen in Grund und Boden gefahren hätte. Es gibt ja viele Sportlerinnen, die auf dem gleichen Niveau sind.
Auch bei ihr sollte ja der Grundsatz "In dubio pro reo" gelten. Gerade weil es sich um einen sogenannten indirekten Dopingbeweis gehandelt hat.
jimmygjan
Gast
Diese Nachricht läuft ja nun auch auf vielen TV Sendern. Da war doch in den Tagesthemen der ARD zu vernehmen, das einem Wiederaufnahmeverfahren beim obersten Schweizer Bundesgericht und bei der CAS wenig Chancen eingeräumt werden.
Dieses Ergebnis muss man sich einmal auf der "Zunge" zergehen lassen. Da wird eine Sportlerin und deren Karriere aufgrund von Indizien in ihrer sportlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Reputation derart zerstört, wie es schlimmer überhaupt nicht sein kann.
Im Nachhinein, wo jetzt festgestellt wird, dass diese Indizien das Papier nicht Wert sind, auf denen sie geschrieben sind, will man immer noch nicht, dass der Sportlerin Frau Pechstein Wiedergutmachung wiederfährt.
Was für ein jämmerlicher Haufen an Sportfunktionären, insbesondere die Dopingfahnder.
Im Strafrecht würde das bedeuten, dass ein zu lebenslanger Haft aufgrund von Indizien verurteilter Mörder nicht aus der Haft entlassen wird und ein Wiederaufnahmeverfahren versagt wird, obwohl sein Unschuld erwiesen wurde.
Alle involvierten Sportfunktionäre sollten sich fragen, ob sie schon mal etwas vom Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" gehört haben, falls dieser Rechtsgrundsatz überhaupt anzuwenden ist, weil die Ergebnisse doch eindeutig sind und keine Zweifel übrig bleiben.
In welchen dunklen Hinterzimmern der Sportfunktionäre wurde denn diese perfide Verfahrensweise ausgeklüngelt, was war die Motivation, was wollte man erreichen, wen wollte man schaden? Alles offene Fragen. Diese Aufklärung wird wahrscheinlich nicht gelingen.
Ich hoffe nur, dass Frau Pechstein die richtigen Rechtsanwälte bevollmächtigt, die gnadenlos Schadensersatz für den erlittenen Schaden einfordern werden. Sei es auf Deutscher Ebene oder auch International. Die CAS, bzw. das IOC sollte man sich gesondert vorknöpfen, wie in einem Land der USA, in dem es weitaus höhere Schadensersatzsummen gibt, als in Deutschland.
Letztendlich sollten die an diesem Verfahren beteiligten Sportfunktionäre alle samt zurück treten. Aber da Verhalten sich die Sportfunktionäre wie die Politiker, sie kleben an ihren Posten bis zum letzten Atemzug.
Ich höre noch den selbst ernannten Dopingaufklärer Hajo Seppelt / ARD und seines Gleichen in den Ohren klingeln, welche kein "gutes Haar" an Frau Pechstein gelassen haben und sie demontiert haben, wie es schlimmer kaum sein kann.
Wo sind diese Stimmen jetzt, wo kann man sie hören, nirgendwo! Welch tolle Mediengesellschaft, auch die müssten an der Wiedergutmachung mitwirken, sei es durch Berichte oder auch durch Zahlung von Schadensersatz.
Das schlimme ist nur, dass ein Olympiasieg, um den Frau Pechstein bei einer guten Vorbereitung mitgelaufen wäre, nicht im entferntesten mit einem Geldbetrag ausgeglichen werden kann. Deshalb sollte dieser finanzielle Ausgleich derart hoch sein, das er bei den Verantwortlichen einen Aufschrei der Entrüstung auslöst, um diesen Menschen unweigerlich klar zu machen, was sie mit ihrer Handlungsweise verursacht haben. Dies könnte dann für Frau Pechstein ein wenig an Genugtuung bedeuten.
nosports
Gast
in dubio pro reo - das scheint für die taz, die selbsternannte Medien-Speerspitze im Kampf gegen Doping, nicht mehr zu gelten. Bei den ganzen Ungereimtheiten, die sich aus dem Fall Pechstein für einen Außenstehenden ergeben, stände es doch einer Zeitung wie der taz eher an, sich um so dubiose Institutionen wie "Sportgerichte" und den dahinterstehenden Organen und Interessen zu bekümmern als um eine -vielleicht- dopende Sportlerin, über die dann auch nicht mehr halbwegs objektiv berichtet wird, sondern schwer abwertend ("... dichtete der Mediziner aus Dresden ..."). Wenn ich meine Meinung mitgeliefert bekommen will, kann ich auch Blöd lesen, dafür brauchts die taz nicht.
likewise
Gast
Warum erhält die Pechstein eigetnlich so wenig Unterstützung von Verbänden und Kollegen? Man kann nur hoffen, weil sie, anders als jene, ahnen, daß dieser Fall noch höchst prekäre Folgen für den Sport und seinen Nimbus haben wird:
Denn, was soll man davon halten, wenn eine Sprtlerin mit einen schwerwiegenden genetischen Defekt und entsprechdn mißgebildeten Blutzellen nicht nur ihre gesunde Konkurrenz übertrumpft, sondern gar ihre gedopten Kollegen, die es zweigfelsohne auch gibt, bekanntlich an der Spitze gar vorherrschend?
So blauäugig anzunehmen, man könne eine solche Überlegenheit Pechsteins trotz oder wegen des Defekts irgendwie vernünftig im Rahmen legaler und fairer sportlicherr Betätigung begründen, ist offenbar außer ihr niemand.
Ergo: entweder ist der Defekt ein unfairer Vorteil (auch biologisch kaum vorstellbar) oder es handelt sich dabei um eine blöde Ausrede ganz im Rahmen von klandistin manipulierten Zahnpastas, Geschenken für die Schwiegermutter, zu hocher Konsum harter Alkoholika und dergleichen mehr -- also im Rahmen dessen, was für eine bestimmte Spezies Sportler ganz typisch ist
ole
Gast
Ach watt...
War das nicht der große "Durchbruch im Anti-Doping Kampf"? Hatten nicht unzählige themenfremde Pseudo-Experten, sogenannte Sportfunktionäre, Sportstudio-Mederatoren und heute/tagesschau-Sprecher(innen) versucht, sich mit diesem Thema zu profilieren?
NADA/WADA/DOSB = unfehlbar.
Und wie war das noch mit den australischen und amerikanischen Spezialisten, die schon weit vor den Olympischen Spielen große Zweifel am Urteil "Doping" hatten und eben genau auf die nun veröffentlichten Punkte hingewiesen hatten.
Ich bin mir sicher, daß unser gottgleicher Doping-Jäger Werner Franke bereits nach anderen Erklärungen such wie bsw. "Dann hat sie eben ein anderes homonelles Dopingmittel benutzt, muß ja kein EPO sein."... Was auch sonst.