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Archiv-Artikel

„Doo damm dam dee …“

Nach 14 Jahren trat Leonard Cohen wieder in Berlin auf und begeisterte sein Publikum in der O2-Arena. Manche Besucher hätten allerdings ein Opernglas und Schallverstärker benötigt

VON DETLEF KUHLBRODT

Leonard Cohen sollte spielen. Ich war so aufgeregt, dass ich die Fußballbundesliga ignorierte und stattdessen alte Platten hörte und einen Text in der Süddeutschen Zeitung las, in dem literaturwissenschaftlich versucht wurde, Cohen als modernen Poeten zu würdigen.

„Der große Seher“ sei „der Mann der Stunde“. Sein Lied „The Future“ von 1992 beschreibe exakt den Post-Nine-Eleven-Zustand der Welt. Irgendwie komisch: Cohens erster Gedichtband war 1956 erschienen; seine berühmten Romane „The favourite Game“ und „Beautiful Losers“ waren 1963 bzw. 1966 herausgekommen, und es gibt sie seit 30 Jahren auch auf Deutsch; dass Leonard Cohen kein kuscheliger Schnulzensänger ist, ist spätestens seit seinen suizidalen „Songs Of Love & Hate“ (1971) klar. Komisch auch, dass bei der Würdigung von „The Future“ nicht erwähnt wurde, dass der Song als Soundtrack von Oliver Stones „Natural Born Killers“ (1994) berühmt ist und dass Cohen den Eingangstrack zur Filmserie „Sopranos“ gesungen hat.

Ich habe mich seit Wochen auf das Konzert gefreut, und je näher ich der O2-Arena am Samstag kam, desto größer wurde das teenagerhafte Kribbeln im Bauch. Entschlossen, alles toll zu finden, betrat ich die blau leuchtende Monsterhalle und war entsetzt, mich irgendwo unter dem Dach, Kilometer entfernt von der Bühne zu finden.

Puppenstubenmäßig klein waren die Musiker auf der Bühne, eingerahmt von den Screens, auf denen man das Gesicht des Meisters sah, der das Konzert mit „Dance me to the end of Love“ begann. Danach gab’s „The Future“, und bei „Ain’t No Cure For Love“ rannte ich wutentbrannt, mit wehem Herzen los, um Pressebetreuungsverantwortliche zu finden, die mich an einen besseren Platz setzen sollten. Die Leute, waren sehr nett, konnten aber nicht helfen. Irgendwie eroberte ich mir dann einen Platz, der nur noch fünf Kilometer von der Bühne entfernt schien, und mit Hilfe der Einbildungskraft gelang es, eine fragile Verbindung zu dem aufzubauen, was so furchtbar weit weg und viel zu leise geschah.

Die ersten Songs unterschieden sich nur minimal von den Studioversionen; ein wenig erhöhte sich die Intensität, das Gefühl tatsächlich auf einem Konzert zu sein, bei „In My Secret Life“ von dem 2001 erschienenen „Ten New Songs“. „Who By Fire“ war ein sehr berührender Höhepunkt des Konzerts; eines der Stücke auch, bei dem die Frauenstimmen von Sharon Robinson und den Webb Sisters nicht kitschig klangen und einen Kontrast zu der tiefer gewordenen Stimme Cohens bildeten.

Nach etwa einer Stunde gab es eine Pause. Wir rauchten und träumten davon, die O2-Arena in die Luft zu jagen. Leonard Cohen ist einer der Musiker, der die Gabe hat, auch mit einem großen Publikum zu kommunizieren; eine Kommunikation war aber höchstens mit einem Zehntel des Publikums möglich.

So war es fast unglaublich, dass es ihm dann doch noch in der letzten halben Stunde (nachdem er fast das ganze „I’m Your Man“-Album, paar Greatest Hits und eine sehr schöne stille Version von „Avalanche“ gespielt hatte) gelang, das Konzert zu etwas Gemeinsamem zu machen. Absurderweise nach einer schon fast misslungenen Aufführung von „First We Take Manhattan“.

Als YouTube-Nutzer wusste man – das hatte er auch schon in Bukarest an seinem 74. Geburtstag so gemacht –, dass er im Ausklang von „Tower Of Song“, während die Webb Sisters ihr endloses „Doo dam dam dam dee doo dam dam“ singen, davon erzählt, wie er die Religionen und Philosophien der Welt studiert und nie die Antwort gefunden hat auf die Frage, was der Sinn unseres Daseins sei. „Jetzt habe ich die Antwort gefunden, Freunde: Sie lautet ‚doo damm dam dee …‘.“ Dass die Menschen auf der ganzen Welt bei den Eingangszeilen von „Tower Of Song“ – „I was born like this/ I had no choice – I was born with the gift of a golden voice“ zu klatschen pflegen und dass es Szenenapplaus in der Mitte von „Hallelujah“ geben würde: „I did my best, it wasn’t much,/ I couldn’t feel, so I tried to touch,/ I’ve told the truth, I didn’t come to fool ya.“ Und zwischen „come“ und „to“ der jeweilige Ortsname.

Immer wieder stellte er seine Band vor; immer wieder betonte er (und man glaubte es ihm), wie dankbar er sei, hier singen zu dürfen. 14 Jahre waren seit seinem letzten Berlin-Konzert vergangen. Damals, „als ich noch ein kleiner 60-jähriger Junge war mit allerlei wilden Ideen in meinem Kopf“. Nach fast drei Stunden endete das Konzert. Es gab stehende Ovationen.