Dominique A: Frankreichs Distelmeyer

In Frankreich bringt er jetzt sein achtes Album heraus – im deutschsprachigen Raum ist der Neo-Chansonnier Dominique A immer noch nur ein Geheimtipp.

Meister des melancholischen, aber immer selbstreflektierten und lebensumarmenden Neo-Chansons. Bild: Dominique_A.JPG:kuxu76 – Lizenz: CC-BY-SA

In Frankreich ist Dominique A ein Star. Es erscheinen Bücher über sein musikalisches Werk. Hierzulande aber ist der Sänger, dessen achtes Studioalbum gerade erschienen ist, noch immer ein Geheimtipp. Dabei ist er der wichtigste Vertreter der sogenannten Nouvelle Scène Française. Das französische Neochanson erregte im Zuge des Erfolgs von Jean-Pierre Jeunets Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" (2001) und mit Hilfe des frankophilen Kölner Plattenlabels Le Pop Musik auch in Deutschland für kurze Zeit Aufsehen. Bei der Betrachtung Dominique As aber sind längere Aufmerksamkeitsspannen angebracht.

Zu Beginn der 90er-Jahre schrieb er die Hymne einer ganzen Generation französischer Indie-Musiker: "Le courage des oiseaux" war ein fiepsig pluckerndes Lo-Fi-Electropopstück mit Punk-Attitüde. Mit einem jede Geschlechtszuordnung unmöglich machenden Falsett kündete der Franzose darin vom "Mut der Vögel", die "im eisigen Wind" singen. Viele junge Franzosen deuteten diesen Text damals eher gesellschaftlich als ornithologisch. Der Gesang der Vögel im und gegen den Sturm wurde zur Chiffre für den verzweifelt rebellierenden Künstler.

Dominique Ané, der seinen Familiennamen im Stil einer Kafka-Figur auf ein Initial reduziert, ist der Jochen Distelmeyer der aufmüpfigen linken Intellektuellenjugend Frankreichs. Nach seinem Auftauchen erkundeten mehr und mehr junge Musiker die Möglichkeiten des Gesangs auf Französisch. Zuvor war es üblich, sich der Sprache der anglo-amerikanischen Vorbilder zu bedienen. "Auf Englisch zu singen, ohne aus England oder Amerika zu sein, wäre für mich ein Akt der Unterwerfung unter eine hegemoniale Kultur", erklärt der Franzose, der heute in Brüssel lebt.

Mittlerweile gibt es in Frankreich kaum eine relevante Veröffentlichung, an der er nicht irgendwie beteiligt ist. Er sang für den "Amélie"-Komponisten Yann Tiersen und für das Magnetic-Fields-Seitenprojekt The Sixths. Er schrieb Songs für Jane Birkin und für seine Freundin Françoiz Breut - auch über das Ende der Liebesbeziehung hinaus.

Oft spürt man in seinem Gesang die Energie niedergehaltener Kräfte, eine selbst auferlegte Ruhe inmitten sich immer weiter aufgipfelnder Emotionalität. Bei seinen zahlreichen Liveauftritten stellt sich der groß gewachsene Sänger ganz vorne an den Bühnenrand, lässt seinen athletischen und meist in Schwarz gekleideten Körper eine fast militärische Haltung annehmen und fixiert die Reihen des Publikums. "Es sind die Stücke selbst, die zu einer sehr offensiven Haltung auf der Bühne zwingen", erklärt er. "Ihre dramatische Färbung lässt mir keine andere Wahl. Ich kann mich nicht hinter ihnen verstecken."

Viele Zuschauer, die romantische, rotweinselige Montmartre-Nostalgie erwarten, sind von der Wucht der Auftritte überrascht. Die martialisch abgehackten Bewegungen des kahlköpfigen Charismatikers stehen in scharfem Kontrast zur androgynen, doch ungemein kräftigen Stimme. "Der ,nette Typ' in mir ist peinlich davon berührt, einige Leute zu verstören. Aber ich muss es tun. Ich muss gegen das französische Klischee kämpfen, das ich mit meiner ,typisch französischen' Stimme und meinen ,typisch französischen', Literarizität verströmenden Texten selbst verkörpere. Man darf nie dort sein, wo einen die Leute erwarten."

Peu à peu geschichtet

Bei seinen One-Man-Shows, die im April auch wieder in Deutschland zu sehen sein werden, simuliert Dominique A mit einer Armada von Effektgeräten nach und nach die Klangfülle einer ganzen Band. So nimmt er beispielsweise live das kurze Pattern einer Rhythmusgitarre auf, loopt es dann, fügt weitere Akkorde hinzu und spielt anschließend mit Akustik- oder Leadgitarre darüber. Er singt zunächst mehrere Vokalspuren ein, bevor er sie peu à peu zum vielstimmigen Chor schichtet, aus dem sich dann die eigentliche Live-Stimme herausschält. Das Bild des Einzelnen auf der Bühne, der sein eigenes unsichtbares Orchester steuert, sorgt regelmäßig für offene Münder.

Die den Neochansonniers nachgesagte Konfrontationshaltung gegenüber den "Klassikern" teilt Dominique A nicht: "Juliette Gréco, Jacques Brel, Barbara, Léo Ferré, Serge Gainsbourg - all diese großen Namen werden in Frankreich noch immer mit sehr viel Respekt behandelt. Das einzige Problem ist allenfalls der ständige Verweis auf dieses Goldene Zeitalter des Chansons, welcher impliziert, dass wir solche Größe nie wieder erreichen können. Eine solche Bezugnahme pendelt zwischen Selbstverherrlichung - einer sehr französischen Haltung - und Selbstverunglimpfung. Doch das ist noch lange kein Grund für irgendwelche Vatermorde. Für mich persönlich sind Brel und Ferré noch immer wichtig, selbst wenn ich sie nicht mehr höre. Wenn man französische Songtexte schreibt, sind sie immer irgendwo anwesend. Man muss sie sich aber nicht als strenge Onkel vorstellen."

Nachdem Dominique A im Jahr 2004 auf seinem von Scott-Walker-hafter Zerrissenheit geprägten Album "Tout sera comme avant" unter Verschleiß ganzer Streichorchester den Weg in die Abstraktion beschritt und auf seinem letzten Werk "L'horizon" (2006) zur nackten Intensität reduzierter Gitarrenchansons zurückfand, sichtet er auf "La Musique" nun die eigenen elektronischen Wurzeln. Das Album klingt, als hätte er im Keller einen Haufen alter analoger Drum Machines gefunden, um sie als perkussives Gerüst zu verwenden, an dem sich seine Pop-Sensibilität emporranken kann. "Ich verzichtete auf den Computer, um mit Keyboards und Rhythmusgeräten eindringliche First Takes zu produzieren, wohl wissend, dass die rohen Resultate von meinem langjährigen musikalischen Kompagnon Dominique Brusson noch einmal gemixt und transformiert werden würden. Was die 80er-Referenzen betrifft: Ich wollte sie einfach nicht mehr verstecken. Ich wuchs im Nirgendwo einer grauen Stadt aus dem Mittelalter auf, die von Kartoffelfeldern umgeben war. Das erzeugte in mir ein starkes - wenngleich nicht immer unangenehmes - Gefühl von Einsamkeit. Ich war somit zu Beginn der 80er-Jahre, mit 13, die perfekte Beute für den aufkommenden New-Wave-Sound. Ich bin ein Produkt dieser Zeit, also sagte ich mir: ,Einmal kannst du das ja zugeben.'"

Im die Macht der Musik besingenden Titelstück schlagen zirpende Synthiesounds à la Depeche Mode in ruppige Orgelpassagen um. Auf "Je suis parti avec toi" singt Dominique A mit seinem unverwechselbaren Timbre gegen krachig-dissonante Gitarrenwälle an. Das nur aus einer variierten Akkordfolge, Elektronikgebimmel und verstolperten Drum-Machine-Beats bestehende "Les garçons perdus" klingt nach Minimal Music, auf der Heimorgel gespielt. Hier zeigt sich, mit welcher Unangestrengtheit Ané Experimentalismus und Mitsummbarkeit zusammendenkt.

Das mitreißende "Hasta que el cuerpo aguante" handelt von exzessivem Trinken und hört sich an, als würden The Smiths zum Flamenco aufspielen. So sehr es auf "La Musique" hier und da zischeln, klappern und "80er-Jahre" rufen mag: Auch auf seinem neuen Album, das in einer limitierten Importversion mit Full-Length-Bonus-CD zu haben ist, erweist sich Dominique A als Meister des melancholischen, aber immer selbstreflektierten und lebensumarmenden Neochansons.

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