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■ Dolgenbrodt war nicht mehr als Anarchie à l'AllemagneKein Anlaß für falsche Empörung

Der Fall Dolgebrodt ist kein außergewöhnlich infamer Skandal aus ostdeutschen Landen. Er zeigt nur, daß in vielen Deutschen durchaus eine „Pogromsau“ steckt, wenn diese einmal aus ihrem Pferch entlassen wird. Erinnern wir uns. 1992 signalisierten Teile der politischen Elite ihren Anhängern: Weicht ab von philanthropischer Toleranz! Heizt den Asylanten ein wenig ein! Macht Druck auf der Straße, damit wir endlich das Grundrecht auf Asyl über Bord werfen können!

Die Krawalle in Rostock, wenige Wochen vor der Dolgenbrodter Brandstiftung, waren so eine ultimative Aufforderung. Die Polizei tauchte ab, die politisch Verantwortlichen übten sich über Wochen in Täterentlastung und Beschuldigung der Opfer. Von nun an, das konnte, wer wollte, aus dem Verhalten der Staatsorgane herauslesen, ist ein wenig Anarchie à l'Allemagne erlaubt. Ernsthafte Konsequenzen waren offensichtlich weder von den Ordnungskräften noch von den strafverfolgenden Behörden zun befürchten. Wer will es kreuzbraven Bürger da noch verübeln, wenn sie auch Wilder Westen spielen und ihr Schicksal in die Hand nehmen wollten. Unfair ist es, den Dolgenbrodtern fünf Jahre später zu verübeln, daß sie wirklich taten, was viele in ihren Köpfen ventilierten? Die Sache scheint nur ein wenig dumm gelaufen zu sein.

Es verbietet sich, mit erigiertem Zeigefinger empört Richtung südliches Brandenburg zu zeigen. Der Fall Dolgenbrodt ist nur eine Variante, die den Zivilisationsverlust der Jahre 1991 bis 1993 deutlich offenbart. Er ist eine Bestätigung, daß die rassistischen Übergriffe sich tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft speisten und keineswegs der Langeweile kurzhaariger junger Herren entsprangen.

Rechtlich belangt werden nun die direkt in die Vorbereitung der Brandstiftung Involvierten. Das geht in Ordnung. Aber der Rest der Gesellschaft ist damit nicht aus dem Spiel. Denn sie versagte in den frühen neunziger Jahren. Ihr gelang es nicht, das Problem der massenhaften Zuwanderung rational zu diskutieren. Und es soll sich nun keiner mit dem selbstgerechten Verweis auf die vielen Lichterketten aus der Verantwortung stehlen. Das wäre unseriös und grobe Geschichtsklitterung. Denn das große zivile Zucken erfaßte die Deutschen erst, als sie ihre große Kollektivaufgabe – die Abschaffung des Asylrechts – durchgekämpft hatten. Eberhard Seidel-Pielen

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