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Dokumentation„Eine Gruppe krimineller Söldner“

■ Die Fernsehansprache Präsident Jelzins vom Montag morgen im Wortlaut

„Liebe Landsleute, ich wende mich in dieser schwierigen Stunde an Euch. In Rußlands Hauptstadt fallen Schüsse, und Blut ist vergossen worden. Kämpfer, die aus dem ganzen Land nach Moskau gebracht und von den Führern des Weißen Hauses angestachelt worden sind, verbreiten Tod und Zerstörung. Ich weiß, es war eine schlaflose Nacht für viele von Euch. Ich weiß, Ihr habt für alles Verständnis gehabt. Diese unruhige und tragische Nacht hat uns eine Menge gelehrt. Wir waren auf einen Krieg nicht vorbereitet. Wir haben gehofft, daß wir eine friedliche Vereinbarung erreichen und den Frieden in der Hauptstadt bewahren könnten.

Diejenigen, die sich gegen die friedliche Stadt gewandt und das blutige Massaker ausgelöst haben, sind Kriminelle. Aber es war nicht nur ein Verbrechen, das von vereinzelten Banditen und Vandalen begangen wurde. Alles, was in Moskau passiert ist und derzeit passiert – es war ein bewaffneter Aufstand, der im voraus geplant war. Er ist organisiert worden von Kommunisten, die Vergeltung üben wollten, von faschistischen Führern und einigen der früheren Parlamentsabgeordneten, Vertretern der Sowjets.

Unter dem Vorwand, Verhandlungen führen zu wollen, haben sie ihre Streitmacht aufgebaut und eine Gruppe krimineller Söldner versammelt, die Morde und Gewalttätigkeiten verübten. Eine kleine Gruppe politischer Verschwörer hat versucht, ihren Willen dem ganzen Volk aufzuzwingen. Die Mittel, die sie dazu benutzt haben, Rußland unter ihre Kontrolle zu bringen, sind vor der ganzen Welt enthüllt worden. Es sind zynische Lügen und Bestechungsversuche; es sind Steine, Metallstangen, Gewehre und Maschinenpistolen. Diejenigen, die rote Flaggen geschwenkt haben, haben Rußland erneut mit Blut übergossen.

Sie haben auf einen Überraschungseffekt gesetzt, auf die Verbreitung von Angst und Verwirrung mit ihrer unverschämten und beispiellosen Unbarmherzigkeit. Sie haben gehofft, daß sich das Militär heraushält und zuschaut, wie die hilflose Bevölkerung Moskaus verfolgt wird und wie in unserem Land eine blutige Diktatur errichtet wird. Sie haben gehofft, daß die Bürger Rußlands ihren Lügen Glauben schenken. Sie haben auf einen schnellen Sieg gehofft.

Für sie und für diejenigen, die ihnen die entsprechenden Befehle gegeben haben, kann es keine Vergebung geben, denn sie haben ihre Hand gegen das friedliche Volk erhoben, gegen Moskau, gegen Rußland, gegen Frauen, Kinder und alte Menschen.

Die bewaffnete Revolte ist zum Scheitern verurteilt. Soldaten sind nach Moskau gekommen, um Ruhe, Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Ihre Aufgabe ist es, Einrichtungen zu befreien, die von den Kriminellen erobert worden sind, die Blockade zu beenden und die illegal bewaffneten Gruppen zu entwaffnen.

Ich bitte Euch, liebe Moskauer, den Soldaten und Offizieren Eure moralische Unterstützung zu geben. Sie gehören zu Eurer nationalen Armee und zur Polizei. Sie haben heute die eine Aufgabe: Eure Kinder zu schützen, Eure Mütter und Väter zu verteidigen und die Aufständischen und Mörder auszuschalten. Moskau und Rußland erwartet Euren Mut und Euer entschlossenes Verhalten.

Die öffentlichen Organisationen, die an den Massenveranstaltungen und anderen ungesetzlichen Aktionen teilgenommen haben, werden in ganz Rußland verboten. Die Zentralbank ist angewiesen worden, alle Finanztransaktionen dieser Gruppen zu unterbinden. Das Büro des Generalstaatsanwalts ist angewiesen worden, Ermittlungen zu den Hintergründen des Aufruhrs zu beginnen. Das Dekret, das alle diese Maßnahmen vorsieht, ist in der Nacht unterzeichnet und schon umgesetzt worden.

Ich appelliere an alle politischen Kräfte Rußlands: Ich bitte Euch, denen zuliebe, deren Leben bereits beendet, deren unschuldiges Blut bereits vergossen wurde, Eure internen Meinungsverschiedenheiten zu vergessen, die gestern noch wichtig schienen. Alle diejenigen, denen Ruhe und Frieden, die Würde und die Ehre unseres Landes wichtig sind, und diejenigen, die gegen einen Krieg sind, müssen zusammenstehen.

Ich appelliere an die Bürger Rußlands. Der faschistisch-kommunistische Aufstand in Moskau wird so bald wie möglich beendet sein. Der russische Staat hat die Stärke, die dazu nötig ist.

Ich denke, es ist meine Pflicht, mich an die Moskauer zu wenden. Am vergangenen Tag und in der vergangenen Nacht sind wir weniger geworden. Laßt uns uns vor denen verneigen, die uns verlassen haben. Viele von uns sind dem Ruf ihres Herzens gefolgt und haben die vergangene Nacht in der Innenstadt Moskaus verbracht... Zehntausende Menschen haben ihr Leben riskiert.

Euer Wille, Euer Mut, Eure moralische Stärke haben sich als die wirkungsvollste Waffe erwiesen. Ich verneige mich vor Euch von Herzen.“ AP

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